In Wahlkämpfen an der Nase herumgeführt zu werden - diese Erfahrung machen Bürger, seit es Wahlen gibt.

So deutlich wie in diesen Tagen haben Politiker in einer Demokratie aber erst selten versucht, ihr Volk für dumm zu verkaufen. Der Finanz- und Wirtschaftskrise folgt jetzt die Wahrheitskrise.

Wer jemals noch ernst genommen werden will, kann angesichts der horrenden Verschuldung und weiter steigender Kosten heute keine Steuersenkungen versprechen. Die Kanzlerin hat das gestern Abend aber getan. Erneut ist sie schuldig geblieben zu sagen, woher das Geld dafür kommen soll. Beinahe alle Wirtschaftsexperten rechnen vor, dass es ohne Steuererhöhungen nach der Wahl nicht gehen wird, weil sonst ein Staatskollaps droht. 80 Prozent der Bürger sehen das auch so. Das ficht Angela Merkel nicht an: Wer weiß, vielleicht kommt ja irgendwann der Aufschwung, und alles wird gut. Hier paaren sich Unredlichkeit und Hoffnung. Sie gebären erst Wut und dann, was noch schlimmer ist: Gleichgültigkeit.

Der Chef der angeblichen Steuersenkungspartei, Guido Westerwelle, hat den FDP-Sprech in den vergangenen Wochen ein bisschen justiert. Er spricht immer weniger von Steuersenkung und dafür deutlich lauter bis hin zum Schwur von "keine Steuererhöhungen". Man würde ihm allzu gerne glauben, wenn seine Partei nicht dauernd das Gegenteil ihrer verkündeten Politik täte, sobald sie an der Macht ist. Oder wie lässt sich sonst erklären, dass die entschiedene Haltung gegen Staatsinterventionen in der Wirtschaft in Hessen, Nordrhein-Westfalen und Bayern plötzlich nicht mehr gilt? Dort regiert die FDP mit - und schon stimmten alle Liberalen für die Opel- und Quelle-Hilfen. Das liberale Grundgesetz "weniger Staat, mehr Markt" wurde mal schnell außer Kraft gesetzt.

Aber nicht nur beim Geld, auch beim Schutz der Bürger in Uniform wird es Zeit, dass Union, SPD, FDP und Grüne zur Wahrheit zurückfinden. Die Bundeswehr ist in Afghanistan in einen Krieg verwickelt, auch wenn die Kanzlerin das Wort "Krieg" in einem Akt der Wirklichkeitsverweigerung vermeidet. Militärs und Geheimdienstler wissen und raten längst, dass es am Hindukusch nur zwei Möglichkeiten gibt: Raus aus Afghanistan. Oder richtig rein - dann mit mehr Soldaten, bestem Material, klarer Strategie. Jeder Kompromiss - also das, was Koalitionen normalerweise produzieren - ist tödlich. Die Särge mit schwarz-rot-goldener Fahne, die gestern in Leipzig ankamen, sind deshalb auch ein Appell zur Ehrlichkeit.