Bundespräsident Horst Köhler hält Abschwung für unvermeidlich, aber beherrschbar. Bürger wollen eine Steuersenkung statt Gutscheine. Das Wirtschaftsinstitut ifo warnt vor vier Millionen Arbeitslosen bis 2010.

Brüssel/Hamburg. Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) mischt mit seinen Vorschlägen zu raschen Steuersenkungen jetzt auch auf EU-Ebene mit. Bei einer Art "Vor-Gipfel" der christdemokratischen und konservativen Partei- und Regierungschefs in Brüssel riet er Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), noch im Januar zusätzliche Konjunkturhilfen auf den Weg zu bringen. "In Deutschland ist mehr nötig, jetzt ist nicht die Zeit zum Abwarten", sagte Seehofer dem Abendblatt. "Ich gehe von Steuererleichterungen um die zehn Milliarden Euro aus. Wir müssen die Folgen der weltweiten Rezession abmildern, nicht nur reparieren." Für sinnvolle Ausgaben könne man kurzfristig durchaus Schulden machen, so der bayerische Regierungschef.

Bei den Steuersenkungen stellt sich Seehofer Maßnahmen gegen die sogenannte kalte Progression vor. Sie bedeutet, dass schon geringe Lohnsteigerungen für überproportional hohe Steuern sorgen. Diese Forderung wird auch von Experten in Wirtschaft und Gewerkschaften geteilt. Seehofer will außerdem die Freibeträge anheben, um die unteren und mittleren Einkommen zu entlasten. Noch vor der Koalitionsrunde mit der SPD am 5. Januar wolle er mit Merkel eine gemeinsame Unionslinie zu den Konjunkturthemen vereinbaren.

Auch die meisten Bürger wollen lieber eine Steuersenkung (80 Prozent der Befragten) als Konsumgutscheine über 500 Euro (11 Prozent). Nach dem Deutschland-Trend der ARD beurteilten 73 Prozent die wirtschaftliche Lage in Deutschland als schlecht, 26 Prozent als gut. Allerdings empfanden 64 Prozent ihre persönliche Lage als gut und 35 Prozent als schlecht.

Dass der wirtschaftliche Abschwung unvermeidlich, aber beherrschbar ist, sagte Bundespräsident Horst Köhler. Sein Appell in der "Süddeutschen Zeitung" richtete sich aber auch wiederholt an die Banken: "Die kurzfristig drängendste Aufgabe besteht darin, dafür zu sorgen, dass die Banken einander wieder Geld ausleihen und Kredite für die Firmen bereitstellen." Das Staatsoberhaupt räumte ein, dass es ihn als überzeugten Marktwirtschaftler "graust", dass Privatunternehmen wie die Autokonzerne Milliarden vom Staat erhielten. "Aber nichts zu tun ist die schlechtere Alternative."

Die Metallbranche wird voraussichtlich nicht um einen Stellenabbau herumkommen, sagte Gesamtmetall-Präsident Martin Kannegiesser. Die Unternehmen setzten aber alles daran, ihre Stammbelegschaft zu halten. Die IG Metall forderte die Arbeitgeber auf, betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden. Dafür gebe es in den Tarifverträgen Instrumente. "Wir müssen schnell, gezielt und mutig gegen die Krise ansteuern", sagte der IG-Metall-Chef Berthold Huber.

In ihrem Sieben-Punkte-Programm forderte die Gewerkschaft, der Autoindustrie durch eine Umweltprämie für Alt-Autos zu helfen. Jeder Verbraucher, der einen mehr als zehn Jahre alten Wagen verschrotten lässt, solle eine staatliche Förderung von 3000 Euro erhalten. Wenn er zudem einen Neuwagen kauft, soll der Hersteller diese Prämie auf 4500 Euro aufstocken.

SPD-Chef Franz Müntefering forderte eine "gründliche Steuerreform" in der kommenden Legislaturperiode. Das Ziel müsse mehr Steuergerechtigkeit sein. Eine Steuersenkung jetzt helfe dem Arbeitsmarkt wenig. Eine düstere Prognose kommt vom ifo-Institut: Um 2,2 Prozent werde die Wirtschaftsleistung 2009 einbrechen und die Rezession mindestens zwei Jahre dauern, sagten die Ifo-Forscher voraus. Die Arbeitslosigkeit werde bis 2010 auf fast vier Millionen steigen. "Wir stehen am Beginn der schärfsten Rezession der Nachkriegszeit", so Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn. Die Bundesregierung könne die Krise mit Steuersenkungen, der Abschaffung des Solis und einem Infrastrukturprogramm abfedern.