Clement war Journalist, Jurist, Politiker, arbeitet nun in der Wirtschaft. Für seine Partei war der gebürtige Bochumer mit dem unbeugsamen Willen stets Bereicherung und Belastung zugleich. Hier geht’s zur Bildergalerie. Das halten die Politiker von seinem Austritt.

Hamburg. Aus den Tagen von Lord Nelsons Royal Navy ist uns das Schreckensbild der "loose cannon" überliefert, der aus der Verlaschung gerissenen Kanone, die unkontrolliert über das Deck fegt und enormen Schaden anrichten kann. Mit diesem uncharmanten Etikett hat man Wolfgang Clement gern bedacht. Nun ist er, um im Bild zu bleiben, über Bord gegangen und hat ein beträchtliches Loch gerissen.

Und eine Kanone war er schon, der gelernte Journalist mit der fulminanten Karriere, nur eben eine, die dazu neigt, sich loszureißen. Vor einigen Jahren soll ihm der SPD-Linke Peter Dreßen auf einer Fraktionssitzung hitzig zugerufen haben: "Du sprichst nicht mehr für die Sozialdemokratie, du sprichst nur noch für dich selbst!" Und Clement habe, kühl bis ans Herz hinan, entgegnet: "Natürlich spreche ich für mich. Für wen denn sonst?"

Damals sagte er in einem "Stern"-Interview: "Je älter ich werde, desto konsequenter werde ich. Und als desto unabhängiger empfinde ich mich." Unabhängig von der SPD, vor allem. Nicht nur Andrea Ypsilantis Kurs in Sachen Energie geißelte der eigene Parteigenosse mit Gusto. Gerhard Schröders Rücktritt als Parteichef: "Ein Fehler." Die Ausbildungsabgabe: "Blödsinn!" Ökosteuer: dito. Der Post-Mindestlohn: "Ein riesiger Fehler!" Überhaupt die Wirtschaftspolitik der SPD: "Tödlich!"

Für seine meist linken Gegner war Clement ein "Quartalscholeriker", für seine eher konservativen Anhänger der "Reservekanzler". Wolfgang Clements Biografie ist dementsprechend nicht bruchlos und widerspruchslos. Nur die Streitlust, die Neigung zum ehrlichen Aufbegehren ohne Rücksichtnahme auf Kollateralschäden, die ist ohne Brüche. Ehrendoktor der Ruhr-Universität Bochum ist er und Gastprofessor der Uni Duisburg-Essen. Ein Workaholic ist er, soll kaum mehr als vier Stunden pro Nacht schlafen.

Geboren wurde Wolfgang Clement 1940 in Bochum, dem Herzen des mittleren Ruhrgebiets. Dort machte er Abitur und volontierte anschließend bei der "Westfälischen Rundschau" in Dortmund. In Münster studierte er Jura, in Marburg war er Assistent am Institut für Prozessrecht. Dann wieder die "Westfälische Rundschau" - Ressortleiter Politik, stellvertretender Chefredakteur, 1986 der Sprung auf den Chefsessel der "Hamburger Morgenpost".

Dort erlebten ihn Kollegen vor allem als einen unglaublich fleißigen Chefredakteur, sehr kompetent und ganz ruhig in den Konferenzen, aber keineswegs streitsüchtig. Und während Clement kaum etwas anderes als seine Arbeit kannte, kümmerte sich seine Frau Karin um die fünf Töchter. Nebenher war er ein guter Fußballer, der als Libero spielte, körperlich absolut fit war und kein Gramm zu viel auf den Rippen hatte.

Parteimitglied schon seit 1970, wagte sich der Journalist und Jurist immer weiter auf das politische Parkett: 1981 bis 1986 Sprecher des SPD-Bundesvorstands, 1985/86 zudem stellvertretender Bundesvorsitzender. Auch in Nordrhein-Westfalen saß er bald in hohen Parteiämtern, war 1989 Chef der Staatskanzlei, 1995 Wirtschaftsminister. 1993 bis 2002 war Clement Landtagsabgeordneter in NRW, von Mai 1998 bis Oktober 2002 gar Ministerpräsident in Düsseldorf. Das Amt gab er auf, um Superminister für Wirtschaft und Arbeit im Kabinett von Gerhard Schröder zu werden. Der "Schröderianer", den Schröder am Ende fallen ließ, wechselte nach dem Wahlsieg von Angela Merkel wieder den Beruf, nahm Posten in der Wirtschaft an, wurde Aufsichtsratsmitglied der RWE-Kraftwerkstochter RWE Power AG. Und vor diesem fachlichen Hintergrund kritisierte er dann Ypsilantis Energiepolitik - was letztlich zu seinem spektakulären Parteiaustritt nach 38 Jahren bewegter Mitgliedschaft führte.

In seinem Umfeld weiß man, dass ihm eines besonders wehgetan hat: In dem Antrag, ihn aus der Partei auszuschließen, wurde ihm vorgeworfen, dass er mit "seiner menschenverachtenden Politik" die steigende Kinderarmut in Deutschland begünstigt habe. Die Partei-Strategen hatten ihm bis zuletzt nahegelegt, das nicht zu ernst zu nehmen. Doch Clement nahm dies sehr ernst. Und warf hin.