Berlin. Die Welt ist voller Schurken. Und Helmut Kohl kennt sie alle. Er hat ihnen die Hände geschüttelt, mit ihnen verhandelt, sich an ihnen gerächt. Wenn Kohl, mittlerweile 77, von diesen Widersachern erzählt, mahlt wieder das Elefantengedächtnis in ihm. Dann spritzt der Spott nur so heraus. Er wird wieder Bundeskanzler Helmut Kohl. Eine Anrede, für die er lange kämpfte - politisch wie persönlich. Die er 16 Jahre als Amtsbezeichnung trug. Die andere noch immer wie eine Monstranz vor ihm hertragen. Aber mit dem Bundeskanzler in ihm kokettiert er selbst hin und wieder. Schließlich hat die Geschichte ihm recht gegeben - meistens.

"Zweimal haben wir euch geschlagen", giftete ihn Premierministerin Margaret Thatcher während des deutschen Einheitsprozesses im Jahr 1990 an. "Jetzt seid ihr wieder da." Voller Genuss erzählt Kohl das bei der Präsentation des dritten Bandes seiner Erinnerungen am Freitag in Berlin. Im Einheitsjahr musste Thatcher als britische Regierungschefin gehen.

Auch der frühere niederländische Regierungschef Ruud Lubbers wollte die Wiedervereinigung mit einer Friedenskonferenz hinauszögern. Kohl blieb cool. Später strebte Lubbers nach europäischen Weihen: "Mit deutscher Hilfe wirst Du nicht EU-Präsident", beschied ihm der gewichtigste Europäer.

I wo! Jemandem "ans Bein treten" wolle er mit seinen Memoiren nicht. "Aber wenn ihnen einer wie ein Schurke begegnet ist, denkt man beim Schreiben dran." Im Publikum wird gekichert und gegluckst. Kalter Krieg, Lagerbildung, auf Sozis eindreschen - man hängt an Kohls Lippen wie am Opa, der vom Krieg erzählt. "Ich bin Kanzler der Einheit."

Klingt schlüssig. Doch Kohl ist längst angefasst von Selbstzweifeln. "Wir hatten kein Handbuch für die Zusammenführung zweier Staaten." Wie es wirklich um die DDR stand, wusste niemand. Auf die Propaganda von Honecker und Co. seien viele hineingefallen. "Ich auch", gibt Kohl im Buch zu. Er habe sich getäuscht über die Dauer des wirklichen Vereinigungsprozesses: "Man braucht wohl eine ganze Generation dazu."

Zeit braucht Kohl, bis er in Fahrt kommt. Erst scheint seine Stimme zu ersticken. Das Mikrofon wird lauter ausgesteuert. Er räuspert sich. Die Hände sind auf seinem Schoß gefaltet. Er hebt sie ein, zwei Mal. Ein lebendes Denkmal, ein Koloss, der in sich ruht und nur oberhalb des weißen Hemdkragens körperliche Regungen zeigt. Die Augenbrauen gehen hoch, der Mundwinkel verzieht sich zum berühmten Kohl-Schmäh. Auf das Podium konnte er nur mithilfe von zwei Begleitern steigen. Jeder Schritt scheint ihn zu schmerzen. Die nächste Knieoperation wartet in acht Tagen. "Dann wird es wieder besser gehen. Ich sage das nicht, um zu klagen, sondern weil ich um Verständnis bitte."

Zahlen, Daten, Fakten - alles rattert er exakt herunter. Einmal sagt er 1951 statt 1991. Kränkung vergisst er nicht. Nie. Ausgerechnet in Berlin wurde er im Vereinigungsjahr einmal ausgepfiffen. "Das war der ausgebildete Berliner Pöbel." Aus Kreuzberg kämen die. Nun ja, jetzt hätten die ja "einen Abgeordneten, der zu ihnen passt". Mit Namensnennung will er Christian Ströbele nicht adeln. Ist nicht Kohls Liga.

Dort scheint auch noch nicht die erste Kanzlerin des Landes angekommen. Nur kurz findet Angela Merkel Erwähnung in Kohls drittem Erinnerungsband. "Sie hat keine entscheidende Funktion gehabt", sagt der Altkanzler knapp. "Sie hat einen guten Job gemacht im Kabinett." In seinem Kabinett. Und wenn Helmut Kohl irgendwann den vierten Teil seiner Memoiren veröffentlicht und mit Konrad Adenauer an Bänden gleichzieht, "dann wird Frau Merkel eine sehr viel größere Rolle spielen."