Das Bundesverfassungsgericht wird den EU-Reformvertrag von Lissabon intensiv daraufhin überprüfen, ob er die Souveränität Deutschlands zu stark...

Karlsruhe/Hamburg. Das Bundesverfassungsgericht wird den EU-Reformvertrag von Lissabon intensiv daraufhin überprüfen, ob er die Souveränität Deutschlands zu stark einschränkt. Das wurde gestern bei einer Anhörung in Karlsruhe deutlich. Mit kritischen Nachfragen brachten mehrere Richter des Zweiten Senats ihre Skepsis gegenüber einzelnen Punkten des Vertragswerks zum Ausdruck.

Mit Blick auf die Übertragung weiterer Kompetenzen auf die Europäische Union (EU) sagte Udo Di Fabio: "Ist der Gedanke des 'immer mehr' in der Tendenz nicht freiheitsgefährdend?" Sein Kollege Rudolf Mellinghoff warf die Frage auf, ob die EU womöglich schon in der Vergangenheit ihre Zuständigkeiten "in extensiver Weise" interpretiert habe.

Gegen den Vertrag vor Gericht gezogen sind eine Gruppe um den Ex- Europaparlamentarier Franz Ludwig Graf von Stauffenberg (CSU), der CSU-Abgeordnete Peter Gauweiler, die Linksfraktion sowie Klaus Buchner, Vorsitzender der Ökologisch-Demokratischen Partei. Die Kläger warnen vor einer grundlegenden Neuordnung der EU, die mit einem wachsenden Demokratiedefizit und einer Aushöhlung staatlicher Souveränität einhergehe.

Aus Sicht der Regierung ist das im Dezember 2007 unterzeichnete Vertragswerk lediglich eine logische Weiterentwicklung der EU. Sie führe nicht zu weniger, sondern zu mehr Demokratie in Europa.

"Der Vertrag von Lissabon stärkt die demokratischen Grundlagen der Europäischen Union nachdrücklich", sagte Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) in Karlsruhe. Er bekräftigte zudem die Notwendigkeit, die Arbeit der EU effizienter zu gestalten. Auch Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) verteidigte das Projekt. "Der Vertrag beeinträchtigt die Souveränität der Bundesrepublik Deutschland nicht."

Der Vizepräsident des Gerichts, Andreas Voßkuhle, stellte klar, dass es allein um die Vereinbarkeit des Vertrags mit dem Grundgesetz gehe: "Die europäische Idee als solche steht hier und heute hingegen nicht zur Verhandlung."

Nach Einschätzung des Hamburger Verfassungsrechtlers Ulrich Karpen wird das Bundesverfassungsgericht den EU-Reformvertrag nicht scheitern lassen. "Deutschland profitiert am meisten von der europäischen Einigung, da wird das Gericht den Zug Europas nicht anhalten", sagte Karpen dem Abendblatt. Gleichwohl werde das Gericht "ein paar Streben in Sachen Demokratisierung, Souveränität und Kompetenzen einziehen", so Karpen. "Außerdem rechne ich damit, dass das Gericht sich über die Subsidiarität, also ob Europa oder die Mitgliedsstaaten für eine Sache zuständig sind, prinzipieller auslässt."

Heute wird die Anhörung fortgesetzt, ein Urteil wird frühestens im Sommer erwartet. Bundespräsident Horst Köhler hatte seine Unterschrift unter den Vertrag mit Rücksicht auf Karlsruhe vorerst zurückgestellt. Neben Deutschland haben auch Polen, Tschechien und Irland den Vertrag noch nicht ratifiziert.