Integration? Für Gastarbeiter Ismail Kaya ist das ein Fremdwort geblieben. Trotzdem hat er seiner Tochter ein deutsches Leben ermöglicht.

Das Einkaufen war am Anfang das Schwierigste. Wenn Ismail Kaya Reis oder Erbsen kaufen wollte, packte er ein paar Reiskörner oder Erbsen in kleine Plastiktüten, ging damit zum Laden und zeigte mit dem Finger darauf. Dazu machte er ein verlangendes Gesicht. "Ich wusste lange Zeit nicht, was diese Dinge auf Deutsch heißen. Ich konnte kein Deutsch sprechen und Deutsche kannte ich auch nicht. Ich war doch damals nur zum Arbeiten gekommen", sagt er. Damals, das war 1969. Kaya verließ seine Heimatstadt Kars, eine kleine Stadt im äußersten Nordosten der Türkei, um wie viele andere seiner Landsleute nach Deutschland zu gehen, um dort zu arbeiten, ein paar Jahre Geld zu verdienen und in die Heimat zurückzukehren. So weit der Plan.

Doch wie bei vielen seiner Landsleute scheiterte dieser Plan des schnellen Geldes und der schnellen Rückkehr. Es sollte anders kommen. Nach zehn Jahren sagte seine Frau Naime: "Entweder du kommst zurück - oder wir kommen." Nach zehn Jahren des getrennten Familienlebens holte Ismail Kaya seine Frau und drei Kinder nach Deutschland.

Heute, 40 Jahre nach seiner Einwanderung, sitzt er mit seiner Frau im Restaurant Köz Antep und Büryan Kebap an der Clemens-Schultz-Straße auf St. Pauli, in dem seine Tochter Saime, jüngstes von vier Kindern, Geschäftsführerin ist. Während Ismail früher, in ihrem Alter, das Feld bestellte, sitzt Saime meistens vor dem Laptop und kümmert sich um die Belange des Restaurants. Sie sind Vater und Tochter, eine Familie. Aber sie leben in zwei völlig verschiedenen Welten.

Integration, Anpassung, Parallelwelten - diese Begriffe sind Herrn Kaya so fremd geblieben wie Deutschland selbst. Lange vorbei ist die Zeit, in der Ismail Kaya in den Mauser-Werken in Harburg gearbeitet hat. Heute trägt er keine Arbeitsklamotten mehr, sondern Hemd und Krawatte. Der Türke wirkt zufrieden, auch wenn man ihm die lebenslange harte Arbeit ansieht. Er ist mittlerweile 71 Jahre alt, sein Deutsch ist immer noch schlecht. Er spricht lieber Türkisch. Aber was "Geschäftsführerin" heißt, das weiß er.

"Deutschland ist mir nie zur Heimat geworden", sagt er. Ihm nicht. Seiner Tochter Saime schon. Heute führt sie das Leben, das ihre Eltern nie hatten. Sie führt das Leben, was sich ihre Eltern für sie gewünscht haben.

Die 26-Jährige ist die Einzige in ihrer Familie, die in Hamburg geboren ist und die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt. Sie spricht perfekt Deutsch und Türkisch. Saime Kaya ist die Erste in ihrer Familie, die Abitur gemacht und studiert hat. "Auf einer privaten Universität", sagt der Vater stolz und meint die Hamburger Akademie für Marketing und Kommunikation. Er selbst hat nur die Grundschule besucht und danach auf dem Feld gearbeitet. "Bildung war meinen Eltern immer sehr wichtig", sagt Saime Kaya, als ihr Handy klingelt. Ein Geschäftsgespräch, sie muss sich einen Termin in ihren Kalender notieren. "Wir hatten ein sehr hartes Leben. Ich bin froh, dass unsere Kinder es besser haben als wir", sagt Naime Kaya, während ihr Mann seiner Tochter den Kalender aufhält. Die Unterstützung scheint immer noch anzudauern.

Integration, Anpassung, Parallelwelten - über diese Begriffe hat sich Herr Kaya nie wirklich Gedanken gemacht. Oder Illusionen. Von der Studie des Berlin-Instituts, über die in diesen Tagen viel diskutiert wird, hat er nichts gehört. "Heute wird plötzlich gesagt: 'Die integrieren sich nicht.' Mag sein, dass das in einigen Dingen zutrifft. Aber wie sollen wir uns denn anpassen, ohne die Sprache zu können?" Er habe doch immer nur gearbeitet. Zwölf-Stunden-Schichten. "Für meine Kinder", sagt er. Ansonsten sei man nur der Gastarbeiter gewesen. Nie haben er und seine Frau eine Einladung von deutschen Kollegen bekommen. Und auch nie selbst welche ausgesprochen. Nie wirklich Kontakt zu Deutschen gehabt. Oder zu dem Deutschland außerhalb der Wohnung, der Fabrik. "Wie sollten wir denn, ohne die Sprache zu können?" Nie hat er davon gehört, dass man einen Sprachkurs machen könne. Dass es so etwas überhaupt gab. "Hätte man uns damals gesagt, du arbeitest heute nur elf Stunden und gehst eine Stunde in einen Deutschkurs, hätte ich das mit Freude gemacht. Vielleicht wäre unser Leben dann anders verlaufen und ich hätte mich dann nicht so sehr nach meiner Heimat gesehnt. Vielleicht wäre dann Deutschland meine Heimat geworden", sagt er.

Bei seiner Tochter ist das anders. "Als Jugendliche hatte ich nur deutsche Freunde. Mit Türken in meinem Alter konnte ich nichts anfangen, mit ihren Ansichten und Gedanken. Heute ist das zwar anders, aber dennoch sehe ich Deutschland und Hamburg als meine Heimat an. Die Türkei ist für mich nur Urlaubsland", sagt die Kommunikationswirtin.

Sie hat eine einfache Erklärung dafür, dass Deutsch-Türken, die unter ähnlichen Bedingungen aufwachsen wie sie, oft die Schule abbrechen oder keine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben: "Viele türkische Familien umgeben sich und ihre Kinder nur mit anderen türkischen Familien. Es gibt zu wenig Berührungspunkte. Auch meine Eltern haben kein Deutsch gesprochen, kannten das deutsche Schulsystem nicht. Und dennoch - oder gerade deshalb - haben sie mich immer darin unterstützt, im Leben voranzukommen", sagt Saime Kaya. Sie selbst sieht ihre Chancen auf dem deutschen Arbeitsmarkt als sehr gut an, auch wenn ein türkischer Name auf der Bewerbung steht. Deshalb will auch sie anderen türkischen Jugendlichen beim Vorankommen helfen und engagiert sich ehrenamtlich beim Mentorenprojekt "Güven-Vertrauen" der Türkischen Gemeinde Hamburg.

Ihre Eltern sind trotz aller Sprachmängel ein großes Vorbild für sie. Auch wenn die "Integration" bei ihnen etwas anders verlaufen ist, als Saime sich es vielleicht für ihren Vater und ihre Mutter gewünscht hätte: Seit sie in Rente sind, pendeln sie zwischen Deutschland und der Türkei.