Die Windkraft in Norddeutschland soll ausgebaut werden. Durch den verzögerten Offshore-Ausbau muss Windstrom an Land aufgerüstet werden.

Berlin. Drohende Kapazitätslücken bei der Energieversorgung, ungeahnte Engpässe durch den Ausstieg aus der Kernenergie, dringlicher Bau neuer Kraftwerke zur Stabilisierung der Stromnetze - es waren keine guten Nachrichten, die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei ihrem Energiegipfel im Kanzleramt zu hören bekommen hatte.

Deutschlands beschleunigter Ausstieg aus der Kernenergie und der Fokus auf erneuerbare Energien treibt der Politik immer mehr Sorgenfalten ins Gesicht. Neben den zuständigen Ministern Norbert Röttgen (Umwelt, CDU) und Philipp Rösler (Wirtschaft, FDP) will auch Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) die Energiewende jetzt verstärkt vorantreiben. Als zuständiger Minister für die Infrastruktur will er die Windkraft in Norddeutschland ausbauen. "Windkraft ist ein Rohstoff des Nordens. Nicht nur auf dem Meer, auch an Land steckt noch viel Potenzial im Ausbau der Windenergie", sagte der Minister dem Abendblatt. "Wir steigern damit den Anteil erneuerbarer Energien. Dies gelingt uns mit leistungsfähigeren Anlagen an geeigneten und landschaftsverträglichen Standorten." Die Windenergie könne so zu einer tragenden Säule der Energieversorgung in Deutschland werden. Die Windenergie an Land habe kurz- und mittelfristig das wirtschaftlichste Ausbaupotenzial, hieß es ergänzend aus seinem Ministerium.

Gerade in den vergangenen zwei Jahrzehnten ist der Ausbau in Norddeutschland durch die natürlichen Gegebenheiten stark vorangekommen.

Insbesondere in den 90er-Jahren wurde eine Vielzahl einzelner Windanlagen errichtet, die inzwischen deutlich unter dem heute möglichen Leistungsniveau neuer Anlagen liegen, aber oft privaten Investoren gehören. Sie sollen nun geordnet durch wenige, aber leistungsstärkere Anlagen gebündelt ersetzt werden - zudem an dafür geeigneten Standorten.

+++ Merkel will Windparks vor den Küsten ausbauen +++

Diese Erneuerung nennt sich "Repowering", ein Prozess, der auch einen Vorteil für den Landschaftsschutz haben soll. Laut Ramsauer habe die Bundesregierung durch Änderungen im Baugesetzbuch das Repowering für die Kommunen erleichtert. Er erwartet nun von den Kommunen, dass sie die vereinfachten Planungsverfahren für sich nutzen.

Aus dem Ministerium hieß es, dass bislang zur Sicherstellung des Rückbaus von Altanlagen die Aufstellung eines Bebauungsplans mit bedingten Festsetzungen oder der Abschluss eines städtebaulichen Vertrages erforderlich gewesen sei, was zeitintensiv sein könne. Nun sei der Rückbau von Altanlagen allein durch Darstellungen im Flächennutzungsplan möglich. Dies könne die kommunale Umsetzung von Repowering-Konzepten deutlich beschleunigen. Denn Platz ist genug da: 131 679 Hektar Land sind laut Verkehrsministerium für die Windkraft reserviert. Das macht 0,37 Prozent des Bundesgebiets aus. Die größte Fläche für Windenergie bietet Niedersachsen, gefolgt von Nordrhein-Westfalen, Brandenburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern.

+++ Industrie profitiert von Energiewende +++

Ramsauer zeigte sich zuversichtlich, dass die Gesetzesänderungen in den Kommunen Früchte tragen. "Wir produzieren mehr regenerativen Strom, sparen Fläche und 'entspargeln' die Landschaft", sagte er. "Wir wollen leistungsfähigere Anlagen an gut geeigneten und landschaftsverträglichen Standorten, anstatt auf jeder verfügbaren Parzelle ein einzelnes altes Windrad." Das erhöhe die Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger in den windreichen Regionen. "Und nicht zuletzt auch die Akzeptanz für die Windenergie, die wir für unsere Zukunft brauchen. Gerade die ländlichen Räume werden davon profitieren", verspricht der Minister. Derzeit leistet die Windenergie in Deutschland rund 27 000 Megawatt und steuert damit etwa 36 Prozent zur Stromproduktion aus erneuerbaren Energien bei. Bis 2050 soll die Kapazität auf 55 000 Megawatt ausgebaut werden - 45 000 Megawatt davon Windkraft an Land.

Der Offshore-Ausbau dagegen braucht seine Zeit. "Das wirtschaftliche Risiko solcher Anlagen muss beherrschbar sein, die Anbindung ans Festland ist eine Herausforderung", hatte Merkel im Abendblatt-Interview am Mittwoch betont. Der sich verzögernde Netzanschluss von großen Windparks in der Nordsee könnte dafür sorgen, dass das Offshore-Ziel von 10 000 Megawatt bis 2020 deutlich verfehlt wird. Auch Niedersachsens Ministerpräsident David McAllister (CDU) hatte gewarnt, dass die Anbindung der Windkraftanlagen auf dem Meer nicht gesichert sei. Der Bund will nun neben der Windenergie in Nord- und Ostsee und an Land vorerst auch auf den Bau neuer Gaskraftwerke setzen.

Da immer mehr Wind- und Solarstrom in die Netze eingespeist wird, ist bisher unklar, ob es genug Betriebsstunden für neue konventionelle Kraftwerke gibt. Sie sind aber nötig, um zu jeder Tages- und Nachtzeit die Stilllegung der Atomkraftwerke aufzufangen. Verschärfend kommt hinzu, dass alte Kohlekraftwerke, die sich unter anderem wegen der Klimaschutzauflagen kaum noch rechnen, in den nächsten Jahren stillgelegt werden könnten.

Hildegard Müller, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) mahnte die Politik, bei der Energiewende keine Unternehmen zu benachteiligen. "Um Versorgungssicherheit zu gewährleisten, müssen Bestandskraftwerke gesichert und gleichzeitig der Neubau von Kraftwerken auf den Weg gebracht werden." Lösungen sollten den Anforderungen aller Energieversorger, egal ob klein oder groß, gerecht werden und dabei die Marktmechanismen erhalten. "Die Energiewende ist nur unter Beteiligung aller Unternehmensgrößen und -zusammensetzungen zu schultern", betonte Müller.