An der Frage, wer in Nordrhein-Westfalen den Regierungschef stellt, kann die Große Koalition scheitern. Die SPD ist gegen Rüttgers.

Hamburg. Nun kommt es doch noch auf Jürgen Rüttgers an. Nachdem Rot-Rot-Grün gescheitert ist und die FDP sich trotz neuer Annäherungsversuche der SPD nicht bewegt, steht der nordrhein-westfälische Regierungschef plötzlich wieder im Fokus. Nur noch eine Große Koalition kann vermutlich einen Ausweg aus dem Patt der Parteien bieten. Und von Rüttgers allein hängt ab, ob CDU und SPD zueinanderfinden. Wird er sich opfern, um die Koalition zu ermöglichen? Genau das wünscht sich die SPD. Noch hält die CDU dagegen.

In einem merkwürdigen Moment, als man sich in Nordrhein-Westfalen längst auf ein rot-rot-grünes Bündnis eingestellt hatte, meldete sich vor Kurzem Roland Koch zu Wort. Der hessische Ministerpräsident begann, seinem Amtskollegen und Parteifreund Rüttgers Ratschläge darüber zu erteilen, wie er sich in einer Pattsituation verhalten solle. Weil Koch sich aus eigener Erfahrung selbst als Experte für Pattsituationen sieht, sagte er der "Westdeutschen Allgemeinen", man könne so ein Nervenspiel nur ertragen, wenn man gestützt werde. "Sie müssen auch als nur geschäftsführende Regierung weiter handeln und zugleich nach einer Mehrheit suchen. Das gelingt nur, wenn Sie gleichzeitig in der eigenen Partei Ordnung halten."

Was Koch dem nordrhein-westfälischen Regierungschef damit sagen wollte: Wenn Rüttgers im Amt bleiben will, dann ist die SPD nicht das große Problem. Es ist die eigene Partei, die CDU, die er von sich und seinem Machterhalt überzeugen muss. Koch war das vor zwei Jahren in Hessen gelungen, als SPD, Grüne und Linke auf ein Bündnis zuarbeiteten. Mit größtmöglicher Demut hatte er seine Partei bekehrt, an ihm festzuhalten. Es zahlte sich aus. Rüttgers geht in diesen Tagen anders vor, und das scheint Koch zu beunruhigen. Man bekommt derzeit nur wenig mit vom Ministerpräsidenten. Kaum etwas ist zu erfahren, wie es wirklich um seinen Halt in der Partei steht.

Nach der Wahlnacht, aus der er sich nach 5882 Stimmen und damit 0,1 Prozent Vorsprung vor der SPD auffallend früh davongeschlichen hatte, schwieg er beharrlich zu seiner Zukunft. Er nahm nur Pflichttermine wahr. Die Lage kommentierten andere, etwa sein Generalsekretär Andreas Krautscheid oder Integrationsminister Armin Laschet. Beide gelten als potenzielle Nachfolger Rüttgers' - und beide wiederholten gebetsmühlenartig, dass man in der CDU auf keinen Fall ohne den jetzigen Chef auskommen könne. Erst am Donnerstagabend, nachdem das rot-rot-grüne Projekt schon nach der ersten Gesprächsrunde gescheitert war, zeigte sich Rüttgers eine Minute lang der Öffentlichkeit: "Ich freue mich, dass die SPD mein Angebot aus der vergangenen Woche zu Gesprächen jetzt angenommen hat", sagte er in der Düsseldorfer Staatskanzlei und drehte sich um, ohne auf die Nachfragen einzugehen.

Da hatte er den Spieß noch einmal gewendet. Denn zuvor hatte Hannelore Kraft gesagt, sie habe die CDU nun zu Gesprächen eingeladen. Da ging das Kräftemessen schon in die erste Runde. Es wird noch härter werden.

Um das zu erkennen, genügt allein der Blick auf die Sitzverteilung im Landtag: Es herrscht mit jeweils 67 Sitzen Gleichstand zwischen CDU und SPD. Und darauf weisen etliche SPD-Politiker beharrlich hin, wenn sie Kraft als nächste Regierungschefin ins Spiel bringen. Manche Sozialdemokraten gehen fest davon aus, dass die SPD vor allem dann die Gespräche mit den Christdemokraten scheitern lässt, sollte Rüttgers an seinem Amt festhalten.

Er selbst hat bislang dazu geschwiegen. Am Freitagmorgen war nur wieder Generalsekretär Krautscheid zu vernehmen, wie er der CDU und Rüttgers die Führung einer möglichen Koalition zusprach. "Es gibt eine ganz einfache Regel, die die SPD und wir seit 60 Jahren akzeptieren: nämlich dass die Partei, die vorne gelegen hat, den Ministerpräsidenten stellt", sagte er im WDR. Rüttgers habe von den CDU-Gremien einstimmig den Auftrag erhalten, die Gespräche mit den anderen Parteien zu führen, "und deshalb ist er für uns auch der nächste Ministerpräsident". Am Dienstag oder Mittwoch wollen sich CDU und SPD erstmals zu Sondierungsgesprächen treffen. Über Posten will Kraft da noch nicht reden, machte sie deutlich.

Es gilt zuerst, die tiefen inhaltlichen Gräben zu überwinden: Die SPD etwa lehnt das dreigliedrige Schulsystem ab, die CDU will es unbedingt. Einen Kompromiss wird es in dieser Frage kaum geben, sondern am Ende eine Partei, die sich durchsetzt. Wenn diese Hürde genommen ist, erst dann soll es allein um Rüttgers und Kraft gehen, um die Frage, wer führen darf und wer gehen muss. Patt-Experte Roland Koch hatte dazu vor wenigen Tagen auch schon eine Lösung: "Irgendwann wird Frau Kraft erkennen und es der SPD sagen müssen, dass sie die Nummer zwei ist. Das passt nicht zur Sektlaune am Wahlabend, aber es ist die Wahrheit."