Ministerpräsidenten Roland Koch und Stefan Mappus wollen Kernkraftwerke erst später vom Netz nehmen - notfalls am Bundesrat vorbei.

Hamburg. Eins stand für die Sozialdemokraten nach der Wahl in Nordrhein-Westfalen fest: Der längere Betrieb von Atomkraftwerken, wie ihn sich die CDU wünscht, ist endgültig vom Tisch. Schon vor der Wahl hatten SPD und Grüne angekündigt, bei einem Verlust der CDU-Mehrheit in Nordrhein-Westfalen die geplante Laufzeitverlängerung im Bundesrat zu kippen. Da etwa ein Viertel der vom Bundestag beschlossenen Gesetzesvorlagen der Zustimmung der Länderkammer bedarf, kann die Opposition wichtige Vorhaben der Regierung Merkel zu Fall zu bringen - eigentlich.

Doch der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) will die Festlegung auf die Atomenergie notfalls auch ohne Zustimmung des Bundesrats erzwingen. Dem Hamburger Abendblatt sagte Koch: "Von den Plänen, die Laufzeiten von Kernkraftwerken zu verlängern, müssen wir uns nicht verabschieden."

Nach Ansicht von Koch muss Berlin bei der Atomfrage gar keine Rücksicht auf die Bundesländer nehmen: "Die Bundesregierung wäre gut beraten, ihren Gestaltungsspielraum bei der Laufzeitverlängerung zu nutzen. Ich darf daran erinnern: Das Ausstiegsgesetz von Rot-Grün ist ohne Zustimmung des Bundesrates zustande gekommen." Zuspruch erhält Koch von seinem baden-württembergischen Amtskollegen Stefan Mappus. Deutschland benötige umweltfreundliche Energie zu bezahlbaren Preisen, fordert Mappus. "Ohne einen ausgewogenen Energiemix, zu dem auf absehbare Zeit auch die Atomenergie gehört, ist das nicht möglich. Kernkraftwerke, die international strengsten Sicherheitsanforderungen genügen, müssen deshalb länger weiterbetrieben werden können als bislang vorgesehen."

Auch Mappus will keine Rücksicht auf den Bundesrat nehmen: "Rot-Grün hat damals den Atomausstieg ohne die Zustimmung des Bundesrates beschlossen. Warum sollte das bei einem geplanten 'Ausstieg aus dem Ausstieg' auf einmal anders sein?"

Tatsächlich hatten Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und sein grüner Umweltminister Jürgen Trittin das Auslaufen der Kernenergie-Nutzung in einem Gesetz festgelegt, über das 2002 nur im Bundestag, nicht aber im Bundesrat abgestimmt worden war.

Gerade die südlichen Bundesländer Hessen und Baden-Württemberg hatten sich wegen ihrer überdurchschnittlichen Abhängigkeit vom Atomstrom vehement gegen den Ausstieg gewehrt. Daraufhin stimmte die CDU 2009 im Koalitionsvertrag mit der FDP einer Laufzeitverlängerung ohne konkretes Enddatum zu. Und als Anfang des Jahres Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) versuchte, die Verlängerung auf wenige zusätzliche Jahre zu begrenzen, musste er unter anderem auf Druck Kochs nach kurzer Zeit zurückrudern.

Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) will ebenfalls nicht vom Plan einer längeren Nutzung von Kernkraft lassen: "Wir haben uns im Koalitionsvertrag aus guten Gründen für Verhandlungen über eine Laufzeitverlängerung entschieden. Denn die Kernenergie ist eine Brückentechnologie auf dem Weg ins regenerative Zeitalter." In der Frage einer Bundesratsbeteiligung gibt sich Brüderle zurückhaltend: "Ob die Laufzeitverlängerung einer Zustimmung des Bundesrates bedarf, können wir erst sagen, wenn die konkrete gesetzliche Ausgestaltung klar ist."

Die Grünen-Abgeordnete Bärbel Höhn jedenfalls ist davon überzeugt, dass der Bundesrat zustimmen muss: "Anders als damals beim Atomausstieg würde man den Ländern nun Aufgaben und Kosten aufbürden, daher besteht eine Zustimmungspflicht." Zu diesem Schluss kommt auch ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags: "Für Laufzeitverlängerungen beziehungsweise die Wiederzulassung der dauerhaften Nutzung der Atomenergie ist eine Gesetzesänderung erforderlich, die der Zustimmung des Bundesrats bedarf."