Berlin. Der Wahlkampf geht in die Endphase. Die Sozialdemokraten suchen noch nach dem richtigen Abgang aus der ungeliebten großen Koalition.

Ihre Zeit sei „so gut wie vorbei“, sagt die Rednerin im hellroten Blazer. Die Redezeit natürlich, korrigiert sich Angela Merkel (CDU) und schiebt mitten im Gelächter im Bundestag nach: „Mein Gott, wie weit sind wir jetzt eigentlich schon gekommen. Leute, kommt, es sind noch wenige Tage bis zur Wahl!“ Zweieinhalb Wochen vor der Bundestagswahl hat das Parlament am Dienstag ein letztes Mal getagt, offiziell über „die Situation in Deutschland“ diskutiert und dabei alles geboten: Versprecher und Versprechen, Wahlkampf und nicht zuletzt auch viel Wehmut.

Parlamentspräsident Norbert Lammert saß 37 Jahre im Bundestag

Nach jeder Legislaturperiode, im Normalfall vier Jahre, kehrt bis zu einem Viertel der Volksvertreter nicht wieder zurück, manche freiwillig, manche erzwungenermaßen, wieder andere wissen noch nichts von ihrem (Un-)Glück – sie werden es am 24. September erfahren. Morgens um 8.30 Uhr sagt Gerda Hasselfeldt (CSU) im Flur des Reichstages, sie wolle nicht an ihren letzten Gang im Bundestag denken, weil sonst „die Emotionen kommen“.

Vor 30 Jahren war die Politikerin für Franz Josef Strauß nachgerückt. Gar seit 37Jahren sitzt Norbert Lammert (CDU) im Parlament, davon die letzten zwölf Jahre als ein Präsident, der über Parteigrenzen hinweg geschätzt wird. Er verabschiedet sich mit mahnenden Worten. Der Bundestag sei nicht immer so gut gewesen, „wie er sein konnte“.

Gabriel zu Merkel: „Wir haben gut auf Sie aufgepasst“

Sigmar Gabriel, für den es nach eigenen Worten die letzte Rede als Vizekanzler der großen Koalition ist, tut etwas, was im Wahlkampf „vielleicht unüblich“ sei: Er bedankt sich bei der Kanzlerin für eine Zusammenarbeit, die „immer fair, immer belastbar“ und gerade in schwierigen Situationen „ausgesprochen vertrauensbildend“ gewesen sei. „Wir haben gut auf Sie aufgepasst“, ruft er Merkel zu.

Die SPD habe geholfen, dass Merkel gegen Seehofer und Schäuble „einen Willen haben durfte“. Es war eine Retourkutsche. Auf Zwischenrufe von SPD-Generalsekretär Hubertus Heil, wonach vor allem die SPD wesentliche Gesetze durchgesetzt habe, hatte Merkel gekontert, „gegen meinen Willen und den Willen der Union konnten Sie nichts durchsetzen“.

Sahra Wagenknecht sieht keinen Anlass für Euphorie

Merkel hat die Arbeit ihrer Regierung gelobt und für den Geschmack von Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht eine „anlasslose Euphorie“ geboten. Die Frage war nun, wie sich die SPD verhalten würde. Anders als Gabriel entscheiden sich Fraktionschef Thomas Oppermann und Arbeitsministerin Andrea Nahles für Frontalangriffe. Nahles beklagt, sie habe nur etwa 20.000 Langzeitarbeitslosen den Weg in öffentlich geförderte Beschäftigung ebnen können, weil Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble nicht zu mehr bereit gewesen wären.

Auch finde sie es reichlich abgehoben von der Kanzlerin, sich in „Selbstzufriedenheit“ über den Mindestlohn zu freuen. Dabei habe sie ihn – gegen Widerstand in der Union – durchsetzen müssen. Schäuble wundert sich, „wir haben vier Jahre nett nebeneinandergesessen“. Der Wettbewerb in der SPD müsse „sehr heftig sein“ – erklärt er sich Nahles Angriffe.

Die SPD weiß: Es funktioniert nicht, Regierung und Opposition zu sein

Das Problem eines sauberen Abgangs aus der großen Koalition hatte sich schon zwischen 2005 und 2009 gestellt. Der damalige SPD-Fraktionschef Peter Struck schrieb in seinen Memoiren, dass es nicht funktionieren könne, gleichzeitig Regierung und Opposition zu sein. Daran erinnert Unionsfraktionschef Volker Kauder jetzt. Die SPD sei dabei, diesen Fehler zu wiederholen.

Im Bundestag gerät die SPD zwischen die Fronten, weil auch die Opposition ihr die späte Distanzierung von Merkel nicht abnimmt. Wagenknecht sagt, die Sozialdemokraten hätten es versäumt, ein glaubwürdiges Alternativangebot zum „Weiter-so-Wahlkampf“ vorzulegen, Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt ärgert vor allem, dass Merkel den Abgasskandal „heruntermoderiert“ habe. Für die Kanzlerin zeigt der „wie in einem Brennglas“ die Herausforderungen der Autoindustrie: Einerseits würden noch lange Verbrennungsmotoren gebraucht, andererseits müsse der Weg zu neuen Antriebstechnologien gegangen werden.

In der Verteidigungspolitik warnt die SPD vor Aufrüstung

In der Verteidigungspolitik zieht die SPD einen klaren Trennungsstrich, sie warnt vor einer Aufrüstung. Und Kanzlerkandidat Martin Schulz attackiert Merkel aus der Ferne ungewöhnlich scharf. Sie habe im Bundestag „deutlich gemacht, dass sie die Bundeswehr massiv aufrüsten will, um das Zwei-Prozent-Ziel der NATO zu erreichen“, sagte Schulz. „Dafür müsste der Verteidigungshaushalt im Jahr 2024 um rund 30 Milliarden Euro über dem Niveau von heute liegen.“

Die CDU wolle „eine Militarisierung wie es die Bundesrepublik noch nie erlebt“ habe. Für eine vernünftige Ausrüstung der Bundeswehr genügten drei bis fünf Milliarden mehr im Verteidigungshaushalt. Die Differenz zu der von der Union geplanten Summe wolle die SPD für Bildung, Infrastruktur und Digitalisierung ausgeben.