Wien. Österreich wagt erstmals Schwarz-Grün. Die neue Regierung plant kostengünstigen öffentlichen Verkehr und Steuersenkungen. Ein Vorbild?

Der Bundeskongress der Grünen in Österreich, die höchste Instanz der Partei, hat am Samstag seine Zustimmung zur Koalition mit der konservativen ÖVP gegeben. Nach mehr als einem halben Jahr Beamtenkabinett unter Kanzlerin Brigitte Bierlein hat Österreich dann wieder eine reguläre Regierung.

Das Neujahrs-Baby, eine Bundesregierung für Österreich, war keine leichte Geburt. 94 Tage hat es gedauert. Aber als die beiden Chefverhandler, Sebastian Kurz von der ÖVP und Werner Kogler von den Grünen, am Mittwochabend vor die Presse traten, war beiden die Erleichterung anzumerken.

Geradezu entspannt sprach der Altkanzler und künftige Kanzler davon, dass es gelungen sei, das „Beste beider Welten“ umzusetzen. Man habe es geschafft, zentrale Wahlversprechen einzuhalten. „Es ist möglich, die Steuerlast zu senken und gleichzeitig das Steuersystem zu ökologisieren“, sagte Kurz. „Es ist möglich, das Klima und die Grenzen zu schützen“, fügte er hinzu.

Bemerkenswerte Töne für den kantigen Hardliner, der immerhin eineinhalb Jahre mit der rechtspopulistischen FPÖ regiert hatte.

Es klingt wie die Quadratur eines politischen Kreises. Inmitten Europas, wo sich klassische Koalitionen totgelaufen haben und neue Bewegungen und Bündnisse die Politik aufmischen, will sich Österreich als schwarz-grünes Musterland profilieren – wobei Kurz das österreichische Schwarz in ein moderner daherkommendes Türkis umlackiert hat. Wirtschaftswachstum und Umweltschutz, die früher einmal als unvereinbar galten, sollen nun zusammengehen. Nicht nur in Berlin wird man gespannt auf die Alpenrepublik schauen.

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Lkw-Maut wird mit Öko-Abgabe verbunden

Kurz hat in Kogler einen Koalitionspartner, der ihm intellektuell gewachsen ist, obwohl Kogler rhetorisch nicht so eloquent wie der Kanzler ist. Dafür übt der Grünenpolitiker für alle gut sichtbar bereits an seiner Gestik: die zur Merkel-Raute geformten Hände. Der 58-Jährige konzentrierte sich darauf, neben dem Kampf gegen den Klimawandel den Einsatz der Grünen für den „sozialen Ausgleich“ und gegen die Kinderarmut zu betonen.

Ein zentraler Bestandteil des Regierungsprogramms ist ein Klimapaket. Dazu gehören billige Tickets für den öffentlichen Verkehr und ein deutlicher Ausbau des Bahn- und Busnetzes. Die Steuerreform wird auf zwei Eckpfeilern beruhen. Einerseits werden die drei ersten Steuerstufen von 25, 35 und 42 Prozent auf 20, 30 und 40 gesenkt.

Andererseits wird eine Taskforce für eine Ökosteuerreform im Jahr 2022 eingesetzt. Ziel ist es, vor allem die CO2-Emissionen höher zu bepreisen. Im Kampf gegen den Klimawandel werden zudem Flugtickets und die Lkw-Maut mit einer Öko-Abgabe verbunden.

• Kommentar: Österreich wagt Türkis-Grün – Ein Vorbild für Deutschland

ÖVP beharrt auf Kopftuchverbot für Kinder

Die ÖVP beharrte – mit Blick auf die vielen FPÖ-Wähler, die diesmal zu den Konservativen übergelaufen waren – auf einem Kopftuchverbot für Schülerinnen unter 14 Jahren. Auch soll es eine „Dokumentationsstelle für den politischen Islam“ geben. Die Grünen wiederum setzten ein Transparenzpaket durch. Dazu gehört ein neues Parteienfinanzierungsgesetz, das die Kontrollmöglichkeiten des Rechnungshofs ausweiten wird. Dieser soll auch Unternehmen mit Staatsanteilen unter die Lupe nehmen können.

Zudem soll die Vergabe von Posten nicht mehr so verlaufen, wie dies der ehemalige FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache im heimlich aufgenommenen Ibiza-Video zackig gefordert hatte. Außerdem wird es einen Informationsfreiheitsbeauftragten geben, das Amtsgeheimnis wird eingeschränkt. Kogler sprach von einem „gläsernen Staat“ statt eines „gläsernen Bürgers“.

Die Grünen bekommen in Österreich ein Superressort

Susanne Raab (ÖVP) wird Österreichs erste Integrationsministerin.
Susanne Raab (ÖVP) wird Österreichs erste Integrationsministerin. © dpa | Armin Muratovic

Das Kabinett wird jeweils zur Hälfte aus Frauen und Männern bestehen. Elf Minister werden von der ÖVP gestellt, vier von den Grünen. Nur ein Minister der Beamtenregierung bleibt: der langjährige Diplomat und Kurz-Freund Alexander Schallenberg. Der neue Innenminister Karl Nehammer war bislang Generalsekretär der ÖVP.

Susanne Raab ist die erste Integrationsministerin Österreichs. Sie soll dafür sorgen, dass die scharfe ÖVP-Linie im Bereich Migration beibehalten wird. Sie hat bereits beim Burkaverbot, dem Islamgesetz oder der Initiative „Integration durch Leistung“ mitgearbeitet.

Ihr Auftrag besteht darin, den Kampf gegen Parallelgesellschaften und den politischen Islam fortzusetzen. Sie soll sicherstellen, dass die ÖVP nicht allzu sehr ihre rechten Wähler enttäuscht und der FPÖ keine offene Flanke bietet. Raab plädiert für Deutschkurse, Wertekurse und Integrationsberatungen.

Die als sehr konservativ geltende Kurz-Vertraute Karoline Edtstadler ist als Europaministerin vorgesehen. Auch das Verteidigungsressort wird nach französischem (Florence Parly) und deutschem (Ursula von der Leyen) Vorbild erstmals von einer Frau übernommen: Klaudia Tanner kommt aus dem Bauernbund. Ebenfalls ein Kurz-Intimus ist Gernot Blümel, der das Finanzministerium übernehmen soll. Der kühle 38-Jährige ist Chef der Wiener ÖVP.

Die Grünen haben zwar keine prestigeträchtigen Ministerien bekommen. Dafür wird die frühere Geschäftsführerin von Global 2000, Leonore Gewessler, nun das vergrößerte und auch finanziell wichtige Infrastrukturministerium führen. In dem Superressort werden die Bereiche Umwelt, Verkehr, Infrastruktur, Energie, Technologie und Innovation zusammengebracht. Es ist die größte grüne Bastion im Kabinett Kurz. Hier könnte sich entscheiden, wie lange der türkis-grüne Frieden in der Alpenrepublik hält.