Hamburg/Berlin/Brüssel/Athen. Experte erklärt Grexit und Euro-Krise im Abendblatt-Video. Der Abstimmungs-Text ist verwirrend. Will Alexis Tsipras manipulieren?

Die Europäische Zentralbank ist der Schlüssel für eine Staatspleite Griechenlands, sagt der Chefvolkswirt der Bank M.M. Warburg in Hamburg, Carsten Klude. Natürlich liegt es an den Griechen und ihrer politischen Führung um Ministerpräsident Alexis Tsipras selbst, das Hilfsangebot mit den vorgelegten Reformen der Euro-Gruppe doch noch anzunehmen. Allerdings ist das mit der Ankündigung des Referendums in Griechenland am Sonntag komplizierter geworden. Im Video-Interview des Hamburger Abendblatts erklärt Warburg-Ökonom Klude in klaren, verständlichen Worten, wie man sich eine Staatspleite und einen Austritt aus dem Euro vorstellen kann, den Grexit.

Und Klude spricht Klartext: Ja, Tsipras belüge die Griechen. Aber nicht einmal ein Nein beim Referendum müsse ein Nein zum Euro bedeuten. Und: Ein Austritt der Griechen wäre für den Rest der Euro-Gruppe vermutlich nicht so schwerwiegend wie befürchtet. Allerdings wisse niemand mit Gewissheit, ob die Börsen nicht doch durchdrehten.

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Den Trick hatte ein griechischer Ministerpräsident schon einmal den hilfsbereiten, aber genervten Europäern präsentiert: Giorgos Papandreou wollte wie Alexis Tsipras jetzt im November 2011 eine Volksabstimmung, ein Referendum über ein Hilfspaket der Euro-Gruppe abhalten lassen. Die Euro-Partner schäumten. Denn sie wollten sich nicht erpressen lassen, indem Papandreou so tat, als sei möglicherweise der Wille des griechischen Volkes, das Paket abzulehnen. Das hätte die Autorität und die Legitimität der Euro-Gruppe untergraben. Und Papandreou hätte so getan, als passe zwischen ihm und dem Volk kein Blatt Papier. „Ich würde ja gerne sparen, aber die Bürger wollen nicht.“

Tsipras und der Trick mit der Volksabstimmung

Dieses Manöver hatten die überzeugten Europäer in Brüssel schnell durchschaut. Papandreou verzichtete dann auf das Referendum – doch gespart und reformiert wurde nicht. Dass Tsipras sich nun erneut bei diesem alten Trick des politischen Gegners bedient, zeigt, wie holflos, wie populistisch er offenbar ist.

Und Tsipras hat noch einen Trick eingebaut: Der Text ist so verklausuliert, dass selbst wohlmeinende Menschen daran verzweifeln. Auch der Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz (SPD), hat der griechischen Regierung eine manipulative Vorgehensweise vorgeworfen. Die Frage des Referendums am Sonntag verstehe „kein Mensch“, sagte Schulz im ARD-„Morgenmagazin“. „Im Wesentlichen geht es darum, dass die Regierung das Volk fragt, das Nein der Regierung zu allen Vorschlägen hier aus Brüssel zu unterstützen oder die Vorschläge anzunehmen. Ich stecke mittendrin, ich verstehe es, aber man kann schon sagen, dass das eine manipulative Vorgehensweise ist.“

Chronologie der Griechenland-Krise

März 2010

Das Parlament in Athen verabschiedet ein erstes massives Sparprogramm, das unter anderem Steuererhöhungen sowie das Einfrierender Renten vorsieht. Massenproteste folgen. Die Eurostaaten sagen ein erstes Hilfspaket unter Beteiligung des Internationalen Währungsfonds(IWF) zu.

April/Mai 2010

Griechenland beantragt offiziell ein Hilfsprogramm. Die Eurogruppe beschließt Notkredite in Höhe von 110 Milliarden Euro und verlangt im Gegenzug einen harten Sparkurs.

Oktober 2011

Ein zweites Rettungspaket wird beschlossen:Griechenlands private Gläubiger sollen freiwillig einem Schuldenschnitt von 50 Prozent zustimmen. Zudem soll es Kredithilfen von 100 Milliarden Euro geben und Garantien von 30 Milliarden Euro, mit denen der Schuldenschnitt begleitet wird.

Februar/März 2012

Das griechische Parlament stimmt einem weiteren Sparpaket zu, das auf Druck der internationalen Geldgeber mehrfach verschärft wird.

November 2012

Athen billigt abermals ein Sparpaket als Voraussetzung für weitere Hilfen. Ein drittes Rettungspaket ist im Gespräch. Die Eurogruppe signalisiert, dass weitere Hilfen möglich sind - aber erst, wenn das laufende Hilfsprogramm erfolgreich beendet wird.

Juli 2013

Und wieder muss Athen neuen Sparmaßnahmen zustimmen. Siesehen unter anderem die Entlassung von 15 000 Staatsbediensteten vor. Bei weiteren 25 000 Beamten werden die Einkommen gekürzt.

Januar 2015

Die Linkspartei Syriza unter Alexis Tsipras gewinnt die Parlamentswahl. Seine Popularität verdankt er der Ablehnung desvereinbarten Sparkurses.

Februar 2015

Die Euro-Finanzminister verlängern das - bereits einmal verlängerte - Hilfsprogramm von Ende Februar bis Ende Juni 2015.

März 2015

Athen legt eine Liste mit Reformen vor, die pro Jahr drei Milliarden Euro einbringen sollen. Es geht vor allem um den Kampf gegen Steuerhinterziehung. Die internationalen Geldgeber halten die Liste für unzureichend und verlangen Nachbesserungen.

Mai 2015

Das Tauziehen um Reformen geht weiter. Die Finanznot in Athen wird immer größer. Die Regierung sucht nach Geld, um Kreditschulden beim Internationalen Währungsfonds bezahlen zu können.

Juni 2015

Der IWF erlaubt Griechenland, insgesamt vier im Juni fällige Kredite erst Ende des Monats zurückzuzahlen. Athen legt neue Reformvorschläge vor, Krisentreffen auf Spitzenebene bleiben aber ergebnislos. Tsipras schlägt überraschend vor, das griechische Volk über die Sparvorschläge der Geldgeber abstimmen zu lassen und wirbt für ein negatives Votum. Die Eurogruppe erklärt die Verhandlungen für gescheitert, das Hilfsprogramm wird nicht verlängert.

13. Juli 2015

Der Grexit ist vorerst abgewendet. Beim Euro-Gipfel in Brüssel einigen sich die Regierungschefs mit Griechen-Premier Alexis Tsipras auf ein Reform- und Sparprogramm. Der Finanzbedarf der Griechen wird auf 82 bis 86 Milliarden Euro in den nächsten drei Jahren taxiert. Die Parlamente in den Euro-Ländern müssen noch zustimmen.

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Das ist der Text der griechischen Volksabstimmung

Das griechische Innenministerium hat den Text entworfen, hier kommt er in einer deutschen Übersetzung, veröffentlicht von dpa: „Muss der Entwurf einer Vereinbarung von Europäischer Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds akzeptiert werden, welcher am 25.06.2015 eingereicht wurde und aus zwei Teilen besteht, die in einem einzigen Vorschlag zusammengefasst sind?“

Das erste Dokument heißt auf Englisch „Reforms for the Completion of the Current Program and Beyond“ und das zweite „Preliminary Debt Sustainability Analysis“ – auf Deutsch: „Reformen, um das laufende (Rettungs-)Programm abzuschließen und darüber hinaus“ und das zweite „vorläufige Schuldentragfähigkeitsanalyse“. Antwortmöglichkeiten „Ja“ und „Nein“.

Diese Volksabstimmung über den Spar- und Reformkurs in Griechenland spielt eine Schlüsselrolle im Schuldendrama. Das Hilfspaket ist aber bereits ausgelaufen und überholt. Dennoch gilt der Ausgang des Referendums als wichtiges Signal. Ministerpräsident Tsipras hat seine politische Zukunft indirekt mit der Abstimmung verknüpft. Sein Finanzminister Gianis Varoufakis will bei einem „Ja“ der Griechen zurücktreten.

Tsipras rief seine Landsleute am Mittwoch auf, die Sparforderungen der Geldgeber abzulehnen. Das „Nein“ solle den Druck bei neuen Verhandlungen erhöhen. Den Euro-Partnern hatte Tsipras zuvor hingegen geschrieben, er sei grundsätzlich bereit, ihre wichtigsten Bedingungen zu erfüllen. Dazu hatte gehört, doch noch für ein „Ja“ beim Referendum einzutreten.

Griechen in Deutschland dürfen nicht abstimmen

Am 5. Juli sollen die Wahllokale im ganzen Land von 7 Uhr morgens bis 19 Uhr abends (Ortszeit) geöffnet sein. Wann Ergebnisse bekannt gegeben werden, ist weiter offen. Bei Volksabstimmungen über „gravierende nationale Themen“ muss in Griechenland die Wahlbeteiligung bei mindestens 40 Prozent liegen. Wahlberechtigt sind rund 9,8 Millionen Griechen über 18 Jahre.

in Deutschland lebende Griechen können laut Botschaft hierzulande nicht am Volksentscheid teilnehmen. Wenn sie abstimmen wollten, müssten sie das in Griechenland tun, sagte ein Sprecher in Berlin.

Nach einer neuen Umfrage zeichnet sich ein knappes Rennen bei der Volksabstimmung ab. 47,1 Prozent der Befragten würden demnach für „Ja“ und damit für eine Zustimmung zu den unlängst von den internationalen Gläubigern des Landes vorgeschlagenen Reformmaßnahmen stimmen. 43,2 Prozent wären dagegen, ergab die Befragung im Auftrag der konservativen Zeitung „Eleftheros Typos“. (leo/ryb/dpa)