Millionen Menschen kaufen die neue Ausgabe des von islamistischen Terroristen attackierten Satiremagazins

Paris. Der unglaubliche Erfolg hat etwas von grausamer Ironie. Das Pariser Satiremagazin „Charlie Hebdo“ stand bis zum mörderischen Terrorangriff auf das Wochenblatt kurz vor dem Aus. Jetzt kann die Redaktion der Überlebenden neue Hoffnung schöpfen. Zum Verkaufsstart des ersten Heftes nach dem Attentat gab es am Mittwoch einen wahren Ansturm auf Frankreichs Zeitungskioske. Trotz des Schocks, trotz der Trauer um die zwölf Toten des Anschlags auf die Redaktion haben die Mitarbeiter Nummer 1178 produziert – wie immer unter dem Untertitel „Verantwortungsloses Magazin“. Sie wollen zeigen: Die islamistischen Attentäter haben ihr Ziel nicht erreicht.

„Meine 40 Exemplare waren in wenigen Minuten weg, manche haben schon darauf gewartet, dass ich aufmache“, erzählt Henri, der Zeitungen in der Metro-Station Opéra verkauft. Mit dem Solidaritätsspruch „Je suis Charlie“ hatte es begonnen, jetzt müssen Kioske das Schild „Pas de Charlie“ (Kein Charlie) raushängen. Frustrierte Interessenten greifen wie in einer Ersatzhandlung zu dem anderen Satireblatt „Le Canard Enchaîné“ – der bei dem Anschlag getötete Zeichner Cabu hatte auch für dieses Blatt gearbeitet. „Das ist Frankreich, Satire gehört dazu“, meint die 59-jährige Katholikin Simone Bartoli. Sie will diese Ausgabe, auch wenn die Zeichner sie früher oft schockiert haben, sich über allen und jeden lustig zu machen. Die linksliberale „Libération“, die den überlebenden Blattmachern das trotzige Weitermachen in ihren Räumen ermöglicht hat, sie freut sich über den Zuspruch: „Die wirkliche Karikatur des Propheten, das ist doch jene, die die Islamisten zeigen“, so kommentiert „Libération“. Der Mohammed auf dem „Charlie“-Titel, er stehe eben dafür, dass die wahre muslimische Religion brüderlich sei.

Es bleibt jedoch die Frage, wie jetzt die Zukunftsstrategie von „Charlie Hebdo“ aussehen soll. Die Zahl der Stammleser war zuletzt immer weiter gesunken. Größere Aufmerksamkeit bekam es nur dann, wenn es wieder mal die Grenzen von Toleranz und Geschmacklosigkeit austestete. „Ausschlaggebend wird sein, wie viele dauerhafte Abonnenten jetzt hinzukommen“, sagen Presseexperten. Die Redaktion muss wohl befürchten, dass Solidarität und Interesse am Blatt mit zunehmendem zeitlichen Abstand zum Anschlag wieder massiv abnehmen. Vielen Franzosen war der Krawallkurs der Redaktion noch bis vor Kurzem ein Dorn im Auge. Nach der Veröffentlichung derber Mohammed-Karikaturen im Jahr 2012 hatte die sozialistische Regierung von Staatspräsident François Hollande noch dringend dazu aufgerufen, Verantwortungsbewusstsein zu zeigen. „Charlie Hebdo“ gieße neues Öl ins Feuer, kritisierten Politiker wie Außenminister Laurent Fabius damals. Der damalige Premierminister Jean-Marc Ayrault sagte, in Frankreich gelte die Meinungsfreiheit, gleichzeitig müssten aber Toleranz und Respekt gegenüber religiösen Überzeugungen walten. Die damaligen Mohammed-Karikaturen von „Charlie Hebdo“ hatten den Propheten nackt, als Jude oder Unruhestifter gezeigt. Eine Karikatur trug die Überschrift „Mohammed: Ein Stern ist geboren“. Sie zeigt den Propheten unbekleidet in Gebetshaltung mit hoch aufgerecktem Hintern. Darüber hat der Zeichner einen großen gelben Stern gesetzt. In anderen wird Mohammed in Zusammenhang mit Sex mit Tieren gezeigt.

Die jüngste Ausgabe kommt politisch wesentlich korrekter daher – zumindest aus westlicher Perspektive. Zwar zeichnen die Überlebenden aus dem „Charlie“-Team weiter den Propheten Mohammed und missachten damit das Darstellungsverbot, das sich im Islam durchgesetzt hat. Mohammed wird allerdings nicht verunglimpft, sondern als jemand dargestellt, der selbst kein Verständnis für den Terrorismus hat. Bei Redaktionsschluss am Montagabend sollen die überlebenden Redaktionsmitglieder „Allahu akbar“ („Gott ist groß“) gerufen haben. Das war der Kampfruf des getöteten Redaktionsleiters Charb. Bis zu seinem Tod hatte er um finanzielle Unterstützung für sein Blatt flehen müssen. Nach dem Terrorangriff bekam das Magazin innerhalb einer Woche Spenden in Höhe von mehr als einer Million Euro. Hinzu kommen die Einnahmen aus dem Verkauf der Rekordauflage. Nie zuvor ist ein französisches Presseorgan in fünf Sprachen gedruckt worden, um in mehr als 20 Ländern verkauft zu werden.

Die Leser in Deutschland müssen allerdings noch auf den Verkaufsstart warten. Vertriebsexperten rechnen damit, dass die Kioske das Satiremagazin erst am Sonnabend in der Auslage haben. Es soll nach bisherigem Stand 4,00 Euro kosten. Mehrere Bundespolitiker kündigten an, dass sie unbedingt ein „Charlie Hebdo“ erwerben wollen. „Ich finde, wir sollten alle dafür sorgen, dass es gekauft wird, dass es gut weiterexistieren kann“, sagte Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU). SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann kann kein Französisch, ist aber entschlossen: „Auch wenn es das nur auf Französisch gibt, kaufe ich das Heft trotzdem. Das kommt dann in meinen Schreibtisch.“ Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter hat sogar Vorbereitungen getroffen: „Ich habe schon Verschiedenes organisiert, um hoffentlich mindestens ein Exemplar für uns zu kriegen. Ganz entscheidend ist auch, dass die Zeitschrift jetzt überlebt.“