Istanbul. Kaum war die neue „Cumhuriyet“ aus der Druckpresse heraus, war auch schon die türkische Polizei auf dem Plan. Die Redaktion wagte es als Einzige in der mehrheitlich muslimischen Türkei, in einer Beilage Teile der neuen Ausgabe von „Charlie Hebdo“ auf Türkisch zu veröffentlichen. Die Polizisten ließen die Lastwagen mit den druckfrischen Zeitungen erst passieren, als sie sich vergewissert hatten, dass die Mohammed-Karikatur vom „Charlie Hebdo“-Titel nicht publiziert wurde. Sie hatten anscheinend nicht gründlich genug gesucht.

Zwar fand sich die Karikatur – auf der ein weinender Prophet Mohammed ein Schild mit der Aufschrift „Je suis Charlie“ hält – nicht in der vierseitigen „Cumhuriyet“-Beilage. Dafür veröffentlichte die Redaktion den „Charlie Hebdo“-Titel in kleinerer Form in Kommentarspalten auf zwei Seiten anderswo im Blatt. Den ermordeten „Charlie Hebdo“-Machern hätte die Finte sicherlich gefallen. Die linksnationalistische „Cumhuriyet“, die zu den Kritikern der islamisch-konservativen Regierung gehört, spielt allerdings mit dem Feuer. Die ultrakonservative Zeitung „Yeni Akit“ schäumte, der Nachdruck sei „eine große Provokation“. Das Blatt veröffentlichte für seine mehrheitlich islamistische Leserschaft auch gleich Namen und Fotos der beiden Kommentatoren, in deren Spalten die Karikatur erschien. Auch die entsprechenden Kommentarspalten fotografierte „Yeni Akit“ ab, die Zeichnung des Propheten Mohammed verpixelte die Redaktion. Sicherheitshalber riegelte die Polizei die Umgebung des „Cumhuriyet“-Verlagsgebäudes in Istanbul ab.

Schließlich leben unbequeme Journalisten in der Türkei unter Umständen gefährlich, wie etwa der „Spiegel“-Korrespondent Hasnain Kazim im vergangenen Jahr erfahren musste. Nach Morddrohungen und mehr als 10.000 Hassnachrichten verließ er vorübergehend das Land. Westliche Korrespondenten genießen dabei den Schutz ausländischer Regierungen. Für kritische türkische Journalisten gilt das nicht.