Ukraine will die Lkw aus Russland nicht über die Grenze lassen. Sie befürchtet Einmarsch statt humanitärer Aktion. Schon am 8. August soll es zu einem entsprechenden Versuch gekommen sein.

Moskau. Eine lange Kolonne von 280 weiß lackierten Lastkraftwagen mit russischen Fahnen machte sich in der Nacht zu Dienstag auf den Weg aus dem Moskauer Umland in die Ostukraine. Russland schicke einen Hilfskonvoi mit humanitären Gütern für die Zivilbevölkerung, meldeten russische Fernsehsender. In Kiew wächst nun die Sorge, dass diese humanitäre Mission als Anlass für einen offenen militärischen Einsatz seitens Russlands in Donezk und Lugansk herhalten soll. Die prorussischen Separatisten kämpfen dort gegen die ukrainische Armee. Deshalb will die Regierung in Kiew den russischen Konvoi nicht ins Land lassen. Die Hilfsgüter müssten an der Grenze auf andere Laster umgeladen werden; erst dann dürften sie in die Ostukraine transportiert werden, verlangte der stellvertretende Leiter der Präsidialverwaltung, Waleri Tschaly.

Die Nachricht über den Hilfskonvoi kam am Montagabend direkt aus dem Kreml. Russlands Präsident Wladimir Putin hatte zuvor mit dem scheidenden Chef der Europäischen Kommission, José Manuel Barroso, telefoniert. Danach hieß es auf Kreml-Seite, Putin habe Barroso informiert, dass Russland „in Zusammenarbeit mit Vertretern des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz“ einen „humanitären Konvoi“ in die Ukraine schicke. Laut der Erklärung der EU-Kommission warnte Barroso Putin vor „einseitigen militärischen Aktionen, egal unter welchem Vorwand inklusive humanitärer Einsätze“.

Die Abstimmung mit dem Roten Kreuz ist dabei offenbar längst nicht so konkret, wie Russland es darstellt: Die Organisation gab eine Erklärung heraus, in der es hieß, ihre Vertreter hätten sich zwar mit russischen und ukrainischen Behörden getroffen. Ein Dokument sei ausgeteilt worden, in dem dargelegt sei, in welcher Form eine solche Operation stattfinden könnte. Alle Seiten hätten zugestimmt, dass die humanitäre Hilfe in der Verantwortung des Roten Kreuzes liegen werde, falls die Mission stattfinde. Seine Prinzipien von Neutralität, Unparteilichkeit und Unabhängigkeit müssten respektiert werden. So akzeptiere die Organisation keine militärische Begleitung, und alle Seiten müssten ihren Mitarbeitern die Sicherheit garantieren.

Im Dokument stehe außerdem, dass das Rote Kreuz noch vor Beginn der Operation Details darüber brauche, was sich auf den Ladeflächen der Lastwagen befinde, sowie Informationen über die Transport- und Lagerungsbedingungen. Die Sprecherin des Roten Kreuzes in Genf, Anastasia Isyuk, sagte, diese Informationen habe man von Russland noch nicht bekommen. „Wir sind bereit, diese Operation zu unterstützen, aber davor müssen wir praktische Aspekte klären.“ Wann das geschieht, konnte sie aber nicht sagen.

Die staatliche russische Agentur Ria meldete, dass der Konvoi 400 Tonnen Grütze, 100 Tonnen Zucker sowie Kindernahrung, Medikamente, Schlafsäcke und Stromgeneratoren transportieren werde. Die Hilfsmittel seien von „Einwohnern Moskaus und der umliegenden Ortschaften“ gespendet worden, meldet der Kreml-nahe Sender Lifenews. Der Sender NTV berichtete, dass ehrenamtliche Organisationen und Veteranenverbände die Spenden eingesammelt hätten. Er zeigte in einer Reportage, wie ein orthodoxer Priester eine Reihe von weißen Lastern mit Weihwasser segnet.

Die Fahrer, alle in der gleichen sandfarbenen Uniform, standen davor. Die meisten Laster waren von der Marke Kamaz. Im Video des Senders Russia Today waren auch mehrere schwere Laster des Typs Ural zu sehen. Beide Lkw-Typen werden auch von der russischen Armee benutzt. Die Nummernschilder waren von den weißen Lastern entfernt worden. Die russischen Sender berichteten, dass die Hilfe für „Einwohner der Republiken Donezk und Lugansk“ bestimmt sei, ohne sie ukrainische Staatsbürger zu nennen. Die Nachrichtenmoderatorin des Ersten Kanals sprach wieder von der „Strafoperation“ Kiews und der „Kämpfer der sogenannten ukrainischen Nationalgarde“. Außerdem meldete der Erste Kanal, dass die umzingelten Rebellen in Donezk derzeit einen Gegenangriff auf die ukrainische Armee mit rund 200 Kampffahrzeugen vorbereiten. Laut dem Sender Lifenews sollte der Konvoi am Dienstagabend in der südrussischen Stadt Woronesch eintreffen. Am heutigen Mittwoch soll er an der ukrainischen Grenze sein.

Berichte über früheren Einmarschversuch

Die Sorge über den Hilfskonvoi ist durch einen Vorfall in der vergangenen Woche verstärkt worden: Der stellvertretende Leiter der ukrainischen Präsidialverwaltung, Waleri Tschaly, hatte bekannt gegeben, dass Russland in der Nacht auf den 8. August versucht habe, in die Ukraine einzumarschieren. „Eine humanitäre Kolonne mit russischen Friedenstruppen hatte das ukrainische Territorium betreten“, sagte Tschaly. Die Provokation sei dann mit internationaler Hilfe gestoppt worden.

Die ukrainische Armee eroberte unterdessen eine wichtige Verbindungsstraße zwischen Gorlowka und Donezk. Auf beiden Seiten habe es Tote und Verletzte gegeben, sagte ein Armeeexperte in Kiew. Die prorussischen Aufständischen bestätigten den Geländegewinn der Regierungstruppen. Beide Seiten berichteten auch von schweren Kämpfen um die Ortschaft Miussinsk nahe Lugansk. Ebenso umkämpft sei Ilowaisk südöstlich der Separatistenhochburg Donezk, die ebenfalls unter Beschuss stand. Die Aufständischen berichteten zudem von weitreichenden Stromausfällen.

Malaysische Experten sollen nun erneut die Absturzstelle des mutmaßlich abgeschossenen Passagierflugzeugs MH17 in der Ostukraine untersuchen. Die Oberste Rada nahm ein entsprechendes Abkommen zwischen Malaysia und der Ukraine mit 311 Stimmen an. Damit können sich die Spezialisten aus dem asiatischen Land den Experten aus den Niederlanden und Australien anschließen, die das Unglück vom 17. Juli untersuchen. An Bord der Maschine der Malaysia Airlines waren 298 Menschen, alle kamen ums Leben.

Derweil stimmte das ukrainische Parlament in erster Lesung für ein Sanktionspaket gegen Russland. Die Oberste Rada nahm eine von Regierungschef Arseni Jazenjuk vorgelegte Liste von 65 Firmen und 172 Einzelpersonen aus Russland und anderen Staaten an. Unklar war zunächst, ob Strafmaßnahmen die Energieunternehmen Gazprom und Transneft betreffen. Dies könnte einen Stopp russischer Öl- und Gaslieferungen nach Westeuropa zur Folge haben.