Große Anteilnahme am Schicksal der Passagiere. Australierin verlor zum zweiten Mal Angehörige bei einem Malaysia-Airlines-Flug. Schottische Familie entrann dem Tod

Schiphol/Kuala Lumpur. Die Flaggen im ganzen Land auf halbmast, verzweifelte Angehörige am Flughafen Schiphol, ein erschütterter König: Nach dem dramatischen Flugzeugabsturz in der Ostukraine trauern die Niederländer um die fast 190 Opfer aus ihrem Land. Bei dem vermutlichen Terrorakt starben auch vier Deutsche, darunter nach Angaben der Zeitung „Express“ zwei Frauen aus Nordrhein-Westfalen, und insgesamt 80 Kinder.

Nach dem Absturz eilten viele Familienmitglieder der Passagiere zum Flughafen bei Amsterdam, wo Flug MH17 am Donnerstagmittag nach Kuala Lumpur gestartet war. Sie wurden zunächst in ein Restaurant im oberen Stockwerk des Flughafens begleitet, abgeschirmt vor den Medien. Dann wurden sie in Bussen zu nicht genannten Orten gebracht.

Einer der Hinterbliebenen der Katastrophe ist Sander Essers, dessen 66 Jahre alter Bruder mit seiner Frau und den zwei Kindern in dem Flugzeug saß. Die Familie habe einen Abenteuerurlaub auf der Insel Borneo geplant gehabt, sagt Essers. „Ich habe noch 20 Minuten bevor er an Bord ging mit meinem Bruder telefoniert“, erzählt er zutiefst betroffen: „Ich kann Ihnen gar nicht sagen, was er zu mir gesagt hat.“

König Willem-Alexander ist in Gedanken bei den Angehörigen der Opfer

„Ich bin tief traurig über diese schreckliche Nachricht“, erklärte König Willem-Alexander. „Unsere Gedanken sind bei den Familien, Freunden und Kollegen der Opfer und bei all denen, die noch nicht wissen, ob ihre Freunde an Bord waren.“ Ministerpräsident Mark Rutte erklärte, er sei „zutiefst schockiert“. Die Zeitung „Volkskrant“ macht eine „Welle der Trauer und der Verzweiflung“ im Land aus. Kürzer fasst es das „Algemeen Dagblad“ und titelt: „Unter Schock“. Tausende Niederländer trugen sich in Kondolenzbücher im Internet ein. „Was für ein Horror“, schreibt ein Nutzer namens Yolanda. Und Gerdi Smale wünscht allen Hinterbliebenen, „ganz egal, wo auf der Welt“, Mut und Kraft.

Auch in sozialen Netzwerken zeigten sich die Niederländer erschüttert. „Das kann nicht wahr sein!“, postete Alicia de Boer auf Facebook, als ihr klar wurde, dass ihr Freund Cor Pan offenbar in der Maschine saß. Der junge Mann hatte kurz vor dem Start ein Bild des Flugzeugs ins Netz gestellt, offenbar in Anspielung auf das spurlose Verschwinden der Maschine des Flugs MH370 derselben Fluggesellschaft. Sein wohl ironisch gemeinter Kommentar zu dem Bild: „Falls es verschwinden sollte: So sieht es aus.“

Zu den Opfern gehört auch der führende niederländische Aids-Forscher und frühere Vorsitzende der Internationalen Aids-Gesellschaft, Joep Lange. Das bestätigte eine Sprecherin der Stiftung PharmAccess, die Lange gegründet hatte und die Patienten leichteren Zugang zu Aids-Medikamenten verschafft. Der 59-jährige fünffache Familienvater war auf dem Weg zur 20. Welt-Aids-Konferenz, die am Sonntag in Melbourne beginnt (siehe Bericht auf Seite 40). In der Maschine saßen rund 100 weitere Konferenzteilnehmer. Lange engagierte sich schon sehr früh im Kampf gegen Aids. Zwischen 2002 und 2004 saß er der Internationalen Aids-Gesellschaft vor, die auch die Konferenz in Melbourne organisiert.

Zudem drückte Papst Franziskus sein Beileid aus. „Der Papst betet für die zahlreichen Opfer des Unfalls und ihre Angehörigen“, teilte der Vatikan mit. Franziskus bekräftigte die Forderung an die Konfliktparteien in der Region, sich um Verhandlungslösungen zu bemühen, um den Verlust weiterer Menschenleben zu vermeiden.

Wenn man angesichts der Umstände davon sprechen kann, hatte eine junge schottische Familie unwahrscheinliches Glück: Barry und Izzy Sim hatten mit ihrem Baby geplant, den Flug MH17 zu nehmen. Vom Absturz erfuhr das Paar auf dem Weg zum Airport – zu ihrem umgebuchten Flug auf eine KLM-Maschine. Ihr Leben verdanken die Sims schlicht der Tatsache, dass MH17 ausgebucht war. Als sie die Nachricht von der Katastrophe hörten, hatten sie ein „mulmiges Gefühl in der Magengrube, das Herz begann schneller zu schlagen“. Izzy Sim sagte der britischen Zeitung „Daily Telegraph“: „Da muss jemand auf uns aufgepasst haben. Jemand, der meinte: ‚Ihr dürft diesen Flug nicht nehmen.‘ Als wir mit dem Taxi zurück zum Flughafen kamen, musste ich nur weinen. Für mich war es, als hätte ich eine zweite Chance bekommen.“

Ein Steward starb, dessen Frau beim Flug MH370 durch Glück überlebte

Ironischerweise mochte die Britin immer lieber mit Malaysia Airlines statt mit KLM fliegen. Doch jetzt ist Fliegen ohnehin erst einmal abgesagt für die kleine Familie. Sie hat sich noch nicht entschieden, ob sie überhaupt nach Kuala Lumpur aufbricht. Allerdings meint Barry Sim: „Ein Blitz schlägt nie zweimal am selben Ort ein.“

Vielleicht doch. Ein Steward aus Malaysia kam ums Leben, der sich in letzter Minute noch für Flug MH17 zum Arbeiten eingetragen hatte. Dieser Umstand ist deshalb so erstaunlich, weil Sanjid Singhs Frau, ebenfalls Stewardess, erst vor wenigen Monaten knapp dem Tod entgangen war. Sie hatte sich aus der Liste der später verschollenen Maschine mit der Flugnummer MH370 ausgetragen, um die Schicht mit einem Kollegen zu tauschen.

Die Australierin Kaylene Mann verlor innerhalb eines halben Jahres zwei Angehörige bei Malaysia-Airlines-Flügen: Als am 8. März Flug MH370 von Kuala Lumpur nach Peking spurlos verschwand, befanden sich Manns Bruder Rod Burrows und dessen Frau Mary in der Maschine. Jetzt folgte der nächste Schicksalsschlag: An Bord des Flugs MH17 war ihre Stieftochter Maree Rizk mit ihrem Mann Albert auf dem Rückweg von ihrem Urlaub in Europa.

Der niederländische Radsportprofi Maarten de Jonge ist nach eigenen Angaben nur durch Zufall beiden Unglücksflügen entgangen. Eigentlich habe er in der Maschine sitzen sollen, die am Donnerstag abstürzte, sagte er niederländischen Medien. Doch weil ihm der Flug zu teuer gewesen sei, buchte der 29-Jährige noch kurzfristig einen anderen Flieger. De Jonge berichtete zudem, dass er auch den ersten Katastrophenflug der Fluggesellschaft im März habe nehmen wollen. Für ein Profiteam aus Malaysia nimmt er an Wettkämpfen in Asien teil. Am 8. März saß er demnach am Flughafen von Kuala Lumpur, als MH370 dort abhob.