Der Streit zwischen Russland und der Ukraine droht zu einem militärischen Konflikt zu eskalieren. Zehn Fragen und Antworten

Moskau/Kiew. Der ukrainische Machtkonflikt hat sich auf der russisch geprägten Halbinsel Krim bis an den Rand eines Krieges zugespitzt. Bei dem Streit zwischen den beiden ehemaligen Sowjetrepubliken geht es um alles – auch um den Energieträger Gas und die eigene Geschichte. Zehn Fragen und Antworten zur aktuellen Situation:

Wie ist die politische und militärische Lage auf der Halbinsel Krim?

Prorussische Kräfte behaupten, sie hätten die Macht übernommen und alle Schalthebel unter Kontrolle. Beobachter sprechen von einer ruhigen Situation. Der moskautreue neue Regierungschef Sergej Aksjonow bezeichnet sich selbst – ohne nennenswerten Widerstand seiner Gegner – als Oberbefehlshaber und hat sich mit der russischen Schwarzmeerflotte verbündet. Aksjonow rief auch Kremlchef Wladimir Putin an, der sich prompt zu militärischem Beistand bereit erklärte, sollten ukrainische Soldaten Gegenwehr leisten.

Was will die neue Krim-Führung?

Sie will gegen den Widerstand der neuen Zentralregierung in Kiew ein Referendum am 30. März, um sich abzuspalten von der Ukraine. Sollte sich die Autonome Republik zum unabhängigen Staat erklären, könnte Russland als Schutzmacht die Krim als unabhängig anerkennen. Damit würde Putin den Schmerz vieler Russen über den Verlust der vom Kreml vor 60 Jahren verschenkten Insel wiedergutmachen.

Wird Russland Gewalt einsetzen, um seine Interessen zu wahren?

Bisher protestiert die Regierung in Kiew zwar, dass die Krim-Führung nicht legitim sei. Es gibt die Anordnung zur Kampfbereitschaft. Sollte es Widerstand gegen das russische Vorrücken geben, könnte Putin die Drohung wahr machen und militärisch eingreifen.

Wie begründen die Russen ihr Vorgehen auf der Krim?

In offiziellen Verlautbarungen geht es immer wieder um den Schutz der russischen Minderheit und der Schwarzmeerflotte vor möglichen Übergriffen radikaler Nationalisten. Beweise dafür gibt es nicht. Außerdem argumentiert Moskau mit Blick auf den Sturz des ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch und den Machtwechsel in Kiew, dass andere auch das Recht auf solche Schritte hätten.

Welche Vorschläge gibt es für einen Ausweg aus dem Ukraine-Konflikt?

Der russische Botschafter bei den Vereinten Nationen (Uno), Vitali Tschurkin, fordert eine Rückkehr zu einem Plan vom 21. Februar, den internationale Vermittler in Kiew unterzeichnet hatten. Das würde aber zum Beispiel eine Wiedereinsetzung des nach Russland geflüchteten Präsidenten Viktor Janukowitsch bedeuten.

Wie sieht die Finanzlage der Ukraine aus – auch mit Blick auf Russland?

Das Land mit seinen 45 Millionen Einwohnern steht unverändert vor dem Staatsbankrott. Allein für russisches Gas schuldet die Ukraine seinem Nachbarn im Moment rund zwei Milliarden US-Dollar. Die Zahl gab Energieminister Juri Prodan in Kiew bekannt. Insgesamt steht das Land im Ausland mit mehr als 70 Milliarden US-Dollar in der Kreide. Die Zahlungsverpflichtungen belaufen sich aber auf mehr als 130 Milliarden US-Dollar, wie Regierungschef Arseni Jazenjuk zuletzt sagte. Er selbst hat die Arbeit der neuen Führung in Kiew als „Selbstmordkommando“ bezeichnet. Schon seit mehr als einem Monat werden Renten nicht mehr voll bezahlt. Die Staatskasse ist leer.

Welche finanzielle Hilfe ist aus dem Ausland zu erwarten?

Zwar haben Internationaler Währungsfonds (IWF) und die EU Finanzhilfen in Aussicht gestellt, doch konkrete Zusagen gibt es nicht. Putin hatte zuletzt 15 Milliarden Dollar in Aussicht gestellt, aber nach einer Zahlung von drei Milliarden sind weitere Tranchen eingestellt. Die Russen begründen das mit der instabilen Lage in dem Land.

Wie setzt Russland sein Druckmittel Gas in dem Konflikt ein?

Die Ukraine ist abhängig von russischem Gas. Nach zähen Verhandlungen hatte Russland dem vom Staatsbankrott bedrohten „Bruderstaat“ einen Rabatt gewährt. Statt 400 US-Dollar zahlte die Ex-Sowjetrepublik zuletzt 168 US-Dollar je 1000 Kubikmeter Gas. Allerdings gilt dieser Preis nur bis März, dann wird neu verhandelt. Das russische Energieministerium teilte mit, dass es für einen weiteren Rabatt keinen Grund sehe.

Wie sollen EU und Nato auf die zugespitzte Lage reagieren?

Sowohl Nato als auch EU können militärische oder politische Zeichen setzen, deren Wirksamkeit allerdings ungewiss ist. Der bis Mai amtierende Nato-Oberbefehlshaber, US-Admiral James Stavridis, listete Optionen auf, mit denen Moskau gezeigt werden könne, dass eine Invasion der Ukraine risikoreich sei. Stavridis nannte als mögliche Maßnahmen verstärkte Aufklärung und einen Austausch mit dem ukrainischen Militär. Die Nato könne demonstrativ eine militärische Planung für den Fall einer russischen Annexion der Krim beginnen, sie könne die Schnelle Eingreiftruppe in Einsatzbereitschaft versetzen und Schiffe ins Schwarze Meer verlegen. Eine weitere Option sei eine Vorbereitung auf mögliche Computerangriffe gegen die Ukraine. „Die Optionen nicht zu prüfen wäre ein Fehler und ein Zeichen an Putin, das dieser sehr begrüßen würde“, meint Stavridis.

Welche Folgen sind bei Sanktionen gegen Russland zu erwarten?

Das Einfrieren der Kontakte zu Russland, beispielsweise im Nato-Russland-Rat, hat 2008 im Fall Georgiens keine nennenswerte Wirkung gezeigt. Sowohl die Nato als auch die EU haben Interesse an einem funktionierenden Arbeitsverhältnis mit Moskau. Russland verfügt im Uno-Sicherheitsrat über ein Vetorecht – und die Stichwörter Iran und Syrien zeigen, dass ohne Hilfe Russlands in wichtigen Fragen politisch nichts läuft.