Hamburger Außenpolitiker im Bundestag nennen Putins Politik einen Rückfall in alte Denkmuster. Aber sie sehen auch Fehler der EU im Umgang mit der Ukraine

Hamburg/Kiew. Droht eine Spaltung der Ukraine in einen russischen und ukrainischen Teil? Steht gar ein Bürgerkrieg bevor? Wie gefährlich ist Wladimir Putins Politik der Mobilmachung? Der Ukraine stehen ernste Tage bevor. Experten sagen, es bleibt wenig Zeit für eine diplomatische Lösung. In den Einschätzungen von Hamburger Außenpolitikern mischt sich Hoffnung mit Sorge, wenn sie über die Lage in der Ukraine sprechen.

Der Landeschef der Grünen in Hamburg und europapolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion, Manuel Sarrazin, kritisiert scharf, dass Russland durch die Mobilmachung auf der Krim – auch mit irregulären Truppen – alle völkerrechtlichen Abkommen mit Füßen getreten habe. „Präsident Putin ist eindeutig bereit, die Ukraine über die Krim hinaus zu destabilisieren und einen Bürgerkrieg zu provozieren“, sagte er dem Abendblatt. Der Westen müsse der russischen Politik entschieden begegnen, zudem sei eine enge Zusammenarbeit zwischen der EU und den USA notwendig. „Auch die Türkei spielt eine wichtige Rolle bei der Lösung des Ukraine-Konflikts.“ Denn die Türkei sehe sich als Schutzmacht der Tataren auf der Krim und habe ebenso wie Russland Interessen in der Region. „Der Westen muss alle nicht militärischen Maßnahmen prüfen“, sagt Sarrazin. Dazu gehören Sanktionen gegen einzelne Personen wie die russischen Oligarchen, aber auch ein Einfrieren der Wirtschaftsbeziehungen der EU zu Russland. „Die Lage ist sehr, sehr ernst.“

Gerade erst ist der Grünen-Politiker aus der Stadt Lviv in der Westukraine zurückgekehrt. Eine Spaltung des Landes könne Sarrazin nicht beobachten. „Ich denke, das ist auch im Osten bei der übergroßen Mehrheit der Menschen so. Alle wollen die souveräne ukrainische Nation.“

Der Außenexperte der Linksfraktion im Bundestag, Jan van Aken, bewertet die Spannungen zwischen dem Westen und dem Osten des Landes anders. Die Bedenken der Menschen im russischsprachigen Osten seien legitim. Dort gebe es eine emotionale Nähe zu Moskau, die Bürger fühlten sich bedroht durch die Proteste gegen Putin und Ukraines Ex-Präsidenten Viktor Janukowitsch auf dem Maidan in Kiew. „Auch weil die Propaganda funktioniert hat, es hätte sich auf dem Maidan um Revolten von ukrainischen Faschisten gehandelt“, sagt der Hamburger Politiker van Aken. Er fordert eine unabhängige Kommission, die die Situation der russischsprachigen Minderheit in der Ukraine prüfe. „Auch damit diese Menschen das Gefühl haben, die neue Regierung in Kiew nimmt ihre Sorgen ernst.“

Wie Jan van Aken bewertet auch der Wandsbeker Bundestagsabgeordnete Jürgen Klimke (CDU) die Politik Putins als „knallharte Machtpolitik“. Wie viele Außenexperten sieht Klimke die Lage in der Ukraine nicht mehr als regionalen Konflikt. „Es ist ein weltpolitischer Konflikt und ein Nervenkrieg zwischen den Supermächten USA und Russland.“ Die Drohungen von US-Präsident Obama und Außenminister John Kerry gegen Putin würden dies belegen. Der CDU-Politiker fordert unverzügliche Sondersitzungen des Uno-Sicherheitsrats sowie der Nato und Russland, die seit 2002 durch einen gemeinsamen Rat verbunden sind. Er sieht auch Polen in einer starken Position, nachhaltige Verhandlungen zwischen der EU und Russland voranzutreiben. Polen ist Nachbarland und pflegt seit vielen Jahren enge Kontakte zur Ukraine.

Dennoch sei die EU vor allem eine wirtschaftliche und politische Organisation, hebt Klimke hervor. Je stärker Russlands militärisches „Säbelrasseln“ werde, desto wichtiger würden Nato und USA als friedenspolitisches, aber auch militärisches Gegengewicht zu Russland. Der außenpolitische Sprecher der SPD im Bundestag, Niels Annen, sieht die Rolle der USA dagegen eher begrenzt. „Die USA haben selbst große innenpolitische Sorgen. Und unter den Amerikanern herrscht Kriegsmüdigkeit“, sagt der Hamburger Politiker dem Abendblatt.

Annen wirft der EU schwere Fehler bei der Auseinandersetzung mit der Ukraine vor. In den Verhandlungen um das Assoziierungsabkommen mit der Ukraine hätten sich einige Vertreter in Brüssel ebenso wie der Kreml einer „Rhetorik des Kalten Krieges“ bedient – und die Ukraine vor die Wahl zwischen Russland und Europa gestellt. „Das konnte nicht funktionieren.“

Annen hält eine schnelle Finanzhilfe für die Ukraine nun für notwendig, die gemeinsam von der EU, dem Internationalen Währungsfonds und Russland geschultert werden müsse. Dies würde der neuen Regierung in Kiew Handlungsspielraum und Stabilität verschaffen. „Doch nach dem russischen Einmarsch auf der Krim sehe ich dafür im Moment keine Perspektive.“ Putins Politik ignoriere internationales Recht und sei ein Rückfall in das Denken in machtpolitische Einflusszonen.