Russland besetzt die Krim. Krise eskaliert zum größten Ost-West-Konflikt seit dem Ende des Kalten Krieges

Kiew/Moskau. In Europa wächst die Angst vor einem Krieg. Angesichts der Besetzung der Halbinsel Krim durch russische Truppen hat die Ukraine vor einem Angriff ihres übermächtigen Nachbarlandes gewarnt und die Nato um militärischen Beistand gebeten. „Wir stehen am Rande einer Katastrophe“, sagte der amtierende Ministerpräsident Arseni Jazenjuk.

Der Sicherheitsrat in Kiew versetzte die Armee in höchste Alarmbereitschaft und mobilisierte alle Reservisten. Der Luftraum wurde für Militärflugzeuge gesperrt. Das Parlament rief das Ausland auf, internationale Beobachter zu entsenden und Hilfe beim Schutz der Nuklearanlagen zu leisten. „Rettet uns“, riefen Bürger in Kiew an die Adresse der Nato.

In der schärfsten Konfrontation zwischen Russland und dem Westen seit Ende des Kalten Krieges warf US-Präsident Barack Obama seinem Kollegen Wladimir Putin in einem 90-minütigen Telefonat die Verletzung des Völkerrechts vor. Putin entgegnete, Russland werde seine Interessen auf der Krim und im Osten der Ukraine verteidigen. In Brüssel kamen die Nato-Botschafter zu einer Krisensitzung zusammen. „Was Russland jetzt in der Ukraine macht, verletzt die Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen“, sagte Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen. „Es bedroht Frieden und Sicherheit in Europa.“

US-Außenminister John Kerry warf Putin einen „unglaublichen Akt der Aggression“ vor und drohte mit Sanktionen. „Im 21. Jahrhundert verhält man sich nicht wie im 19. Jahrhundert, indem man auf Basis frei erfundener Gründe in ein anderes Land einmarschiert“, sagte er dem Sender CBS. Sollte Moskau nicht einlenken, würden die G7-Staaten „bis ans Äußerste“ gehen, um Russland wirtschaftlich zu isolieren. Als Beispiele nannte Kerry Handelsbeschränkungen, Einreiseverbote und das Einfrieren von Bankkonten. Russland könne zudem auch aus der Gruppe der G8-Staaten fliegen. Dem widersprach allerdings Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier.

Putin hatte sich vom Parlament die Entsendung russischer Soldaten in die Ukraine billigen lassen. Experten gehen davon aus, dass die frühere Sowjetrepublik weniger als 130.000 Soldaten hat. Putin dagegen hält 845.000 Mann unter Waffen und hat Milliarden in die Modernisierung der Streitkräfte gesteckt. Die russischen Spezialeinheiten können sich mit den erfahrensten Elitesoldaten der Welt messen.

Die Entscheidung zu einem Militäreinsatz soll laut Kreml zwar noch nicht gefallen sein. Gleichwohl haben Einheiten der russischen Schwarzmeer-Flotte, die auf der Krim stationiert ist, wichtige Gebäude auf der Halbinsel besetzt. Russische Soldaten umstellten auch einen Stützpunkt der ukrainischen Armee und forderten Soldaten zum Überlaufen auf. Am Sonntagabend verkündete der Befehlshaber der ukrainischen Marine, Denis Beresowski, er habe sich den prorussischen Kräften auf der Krim angeschlossen.

Putin begründete einen Militäreinsatz mit einer lebensbedrohlichen Lage für Russen in der Ukraine. Auf der Krim stellen ethnische Russen die Bevölkerungsmehrheit, im Osten der Ukraine ist Russisch die Muttersprache vieler Bürger. In der Stadt Charkow im Osten wurden bei Zusammenstößen zwischen prorussischen und prowestlichen Bürgern Dutzende Menschen verletzt.

Nach ukrainischen Angaben verlegte Russland zuletzt 6000 Soldaten auf die Krim. Premier Jazenjuk warnte Russland, eine Intervention werde zwangsläufig zum Krieg führen. Die vom Parlament in Moskau genehmigte Truppenentsendung sei „praktisch die Kriegserklärung gegen mein Land“.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte: „Das, was wir auf der Krim erleben, besorgt uns sehr.“ Auch Hamburger Bundestagsabgeordnete sehen eine „sehr ernste“ Lage. Es handele sich um einen „weltpolitischen Konflikt, einen Nervenkrieg zwischen den Supermächten USA und Russland“, sagte Jürgen Klimke (CDU) dem Abendblatt. SPD-Außenexperte Niels Annen warf der EU schwere Fehler vor. In den Verhandlungen mit der Ukraine hätten sich Vertreter in Brüssel ebenso wie der Kreml einer „Rhetorik des Kalten Krieges“ bedient – und die Ukraine vor die Wahl zwischen Russland und Europa gestellt. „Das konnte nicht funktionieren.“ (HA)