Der Tod von Nelson Mandela erschüttert die Menschen in seinem Heimatland. Sie sind aber auch voller Dankbarkeit

Johannesburg. Er habe nicht schlafen können, sagt Mayishibo Setlatjile. Vielleicht habe er gespürt, dass sich etwas im Land verändert hatte, genau weiß er nicht, warum er um zwei Uhr nachts aufstand. In seinem kleinen Steinhaus im Johannesburger Township Tembisa schaltete er den Fernseher an, ein Sportsender flackerte auf. Als selbst dessen Moderatoren nicht über die englische Premier League, sondern bestürzt über Nelson Mandela sprachen, da wusste er, dass er aufbrechen muss.

Wenige Stunden zuvor, um 20.50 Uhr, war Nelson Mandela im Alter von 95 Jahren gestorben – umgeben von seiner Familie und Angehörigen seines Klans aus dem Ostkap, den Thembu. Präsident Jacob Zuma unterbrach das Programm des Staatsfernsehens und teilte der Nation die Nachricht mit. Noch im Schlafanzug eilten viele zu Mandelas Haus im Johannesburger Stadtteil Houghton.

Dort steht nun auch Setlatjile inmitten einer tanzenden Masse. Seit sechs Stunden, stolz trägt er ein T-Shirt mit dem gütigen Lächeln Mandelas, um die Schultern weht ein Tuch des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC). „So sehr wir auch geschockt sind, ihn zu verlieren, so wissen wir doch auch, wie er gelitten hat“, sagt er. „Ich war darauf vorbereitet, das Vermächtnis von Nelson Mandela zu feiern.“ Drei Monate hatte Mandela zuletzt wegen einer Lungenentzündung im Krankenhaus verbracht. Wenigstens die letzten Wochen, die ihm vergönnt waren, blieben ihm in vertrauter Umgebung – auch wenn sein Leben von so vielen Schläuchen abhing, dass er nicht mehr reden konnte.

Nelson Mandelas Tod stößt Südafrika in ein Tal der Trauer, aber gleichzeitig ist auf allen Straßen tiefe Dankbarkeit zu spüren. Wie lange die Ikone sein Leben schon prägt, kann Setlatjile gar nicht genau sagen. Doch auch nach 19 Jahren Demokratie sei er arm, die ungerechte Verteilung des Wohlstands macht ihn wütend. „Aber meinen Kindern stehen viele Wege offen. Wir stehen erst am Anfang, und Mandela hat viel erreicht.“

Hinter ihm sperren Polizisten die Straßen ab, immer mehr Bürger bringen Kerzen. Mandelas Leichnam ist längst in ein Militärgebäude nach Pretoria gebracht worden. Doch die inzwischen mehr als 1000 Menschen bleiben trotz des einsetzenden Regens, vor den Mauern wächst das Blumenmeer. Das abgeschirmte Haus ist zur Pilgerstätte für alle geworden, die ihre Trauer teilen wollen. Hier fühlt man sich Mandela noch ein wenig nahe, ein paar letzte Stunden.

Von gedrückter Stimmung an der sonst so verschlafenen Straßenkreuzung gibt es an diesem Vormittag aber keine Spur. Eine Gruppe der ANC-Frauenliga singt mit voller Kraft alte Lieder des Befreiungskampfes. „Wacht auf, warum schlaft ihr, Mandela sucht Soldaten.“ Früher, erklärt eine ältere Dame, habe man so Aktivisten für den bewaffneten ANC-Flügel angeworben. Inzwischen suche man engagierte Bürger für eine lebhafte Demokratie.

Und dann erklingt ein abgewandeltes Kirchenlied. „Nelson Mandela, es gibt nur einen wie ihn“, schallt es durch die Straßen. Die Melodie stammt von einem alten Kirchensong, eigentlich lautet der Text „Jesus Christus, es gibt nur einen wie ihn.“ Mandela konnte den Personenkult um ihn nie stoppen, obwohl er ihm oft peinlich war.

Die Menschen in Südafrika geben ihrem Helden das letzte Geleit, so wie er sich das ihrer Meinung nach gewünscht hätte: lebensbejahend. „Er war ein Kämpfer, er hat uns den Frieden und Gleichberechtigung gebracht“, sagt Love Mthuli, ein Angestellter in einer Autovermietung. „Wir ehren ihn, indem wir sein Leben feiern.“ So sei es schon bei Kriegern vor Hunderten von Jahren gewesen.

Die Lücke, die Nelson Mandela reißt, schmerzt unermesslich. Präsident Jacob Zuma hat eine einwöchige Staatstrauer ausgerufen. Aber tatsächlich trauert der ganze Kontinent mit, vielleicht die ganze Welt. Auch Menschen aus dem Kongo stehen vor dem Haus des Mannes, der einst auch in ihrer Heimat zumindest kurzzeitig Frieden vermitteln konnte.

Über die Einzelheiten der Bestattung ist nicht viel bekannt. Das hat auch mit dem Umstand zu tun, dass die Xhosa, Mandelas Stamm, nicht viel über den Tod sprechen. Es wird aber wohl einen weltweit übertragenen Trauerstaatsakt geben, zu dem sich unter anderem US-Präsident Barack Obama angekündigt hat. Mandelas Leichnam wird dann an das Ostkap zu einem Militärflughafen geflogen und dann in sein Heimatdorf Qunu gebracht. Dort soll er am 15. Dezember begraben werden.

Der schwer kranke Nelson Mandela wird zuletzt kaum noch wahr genommen haben, wie zerstritten seine Familie ist. Im Zentrum des Konflikts steht Mandelas Enkel Mandla. Der will unbedingt, dass sein berühmter Großvater einmal in Mvezo begraben wird. Hier, tief in der Provinz Ostkap befindet sich der eigentliche Geburtsort Nelson Mandelas – der aber erklärtermaßen in dem nicht weit entfernten Qunu begraben werden wollte, dem Ort, wo er aufgewachsen war.

Enkel Mandla Mandela hatte seinen Traum von einer zentralen Mandela-Gedenkstätte, die für viele Jahre einen Strom von Pilgern und Touristen nach Mvezo locken würde, fast verwirklicht. Allerdings verhinderte die Familie das schließlich vor Gericht, obwohl Mandla zuvor eigenmächtig die sterblichen Überreste von drei gestorbenen Kindern Mandelas – Thembekile, Makaziwe und Makgatho – aus den früheren Gräbern in Qunu nach Mvezo umgebettet hatte. Das wurde wieder rückgängig gemacht.

Die Flaggen wehen auf halbmast. Die Johannesburger Börse JSE stellte für fünf Minuten den Handel ein. Menschen in Townships, auf dem Land, aber auch in reichen Vierteln versammelten sich, um Mandela zu gedenken. Für längst nicht alle hat sich der Traum von einer chancengleichen Regenbogennation erfüllt. Aber Mandela hat dafür gesorgt, dass die Menschen überhaupt zu träumen wagten.

Der ehemalige Erzbischof von Kapstadt, Desmond Tutu, der unermüdlich gegen die Inhaftierung von Mandela Kampagnen gemacht hatte, war einer der Ersten, der Mandelas Frau Graca Machel und der Familie sein Beileid aussprach. „Obwohl wir ihn alle kollektiv als Vater beanspruchen und der Schmerz dem Verlust eines Verwandten gleichkommt, so war er doch euer Ehemann, Vater und Großvater.“

27 Jahre saß Mandela im Gefängnis. Davor kämpfte er im Untergrund, danach vereinnahmte ihn die Verantwortung, eine Nation aufzubauen. Seine Kinder haben immer wieder angedeutet, wie sehr sie darunter litten, ohne Vater aufzuwachsen. Den Staatsmann plagten bis ins hohe Alter Gewissensbisse. Freiheit ist nicht nur das kostbarste Gut, es ist auch oft das teuerste.

Der ANC, hatte ihn wohl länger für sich beansprucht, als es im Sinne der Familie war. Mandela ließ sich schon stark geschwächt zu Auftritten im Wahlkampf von Jacob Zuma vor knapp fünf Jahren überreden, vor einigen Monaten noch veröffentlichte der ANC ein Foto von Zuma mit Mandela, der vom Kampf gegen den Tod bereits sichtlich gezeichnet war. „Im Leben jeder Nation erheben sich Männer, die einen unauslöschlichen und ewigen Abdruck in der Geschichte ihrer Bürger hinterlassen“, teilte die Partei am Donnerstag mit. „Wenn sie sterben, hinterlassen sie eine Vision für ein besseres Leben und die Werkzeuge, mit denen es zu erreichen und aufzubauen ist.“

Diese Vision hatte weltweite Wirkung, Mandela inspirierte Menschen unabhängig von Religion oder Weltanschauung. In Südafrika trauert die schwarze und weiße Bevölkerung vereint. Der letzte Präsident des Apartheid-Regimes und Friedensnobelpreisträger, Frederik Willem de Klerk, würdigte Mandela als „einen der größten Söhne“ des Landes. Er glaube, dass Mandela „alle Südafrikaner inspirieren werde, seine Vision der ethnischen Toleranz, Gerechtigkeit und menschlichen Würde“ zu erreichen. Mandela hat es oft genug betont: Er sei nur einer von vielen Kämpfern gegen die Apartheid gewesen. Für den Schutz einer Demokratie dürften nicht weniger Kämpfer notwendig sein.

Nelson Mandela hat uns gezeigt, was für unsere Welt und für jeden Einzelnen von uns möglich ist – wenn wir zusammen an Gerechtigkeit und Menschlichkeit glauben, davon träumen und uns dafür einsetzen.

Uno-Generalsekretär Ban Ki-moon

Er hat mehr erreicht, als von einem Menschen erwartetwerden kann. Wir haben einen der einflussreichsten, mutigsten und zutiefst guten Menschen verloren.

US-Präsident Barack Obama

Er war ein Mann des Mutes, der Prinzipien und vonunzweifelhafter Integrität, ein großartiger Mensch, von dem wir wirklich sagen können: Er lebte ein sinnerfülltes Leben.

Dalai Lama

Er hat unermüdlich zum Wohle seines Landes gearbeitet,und sein Erbe ist das friedliche Südafrika von heute.

Queen Elizabeth II.

Unsere Welt hat eine Jahrhundertgestalt verloren.

Bundespräsident Joachim Gauck

Ich bete, dass sein BeispielGenerationen von Südafrikanern dazu inspirieren wird, Gerechtigkeit und das Gemeinwohl vor ihre politischen Ambitionen zu stellen.

Papst Franziskus

Nelson Mandela bleibt einVorbild für viele. Sein Name ist untrennbar mit dem Begriff der Versöhnung verbunden.

Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz

Nelson Mandela war überzeugt, nicht Hass und Vergeltung machen die Welt besser, sondern Versöhnung und friedlicher Wandel. Und das hat er gelebt. Und deshalb ist er ein Gigant der Geschichte.

Bundeskanzlerin Angela Merkel

Ein großes Licht der Welt ist erloschen. Nelson Mandela war ein Held unserer Zeit.

David Cameron, Premierminister von Großbritannien

Unsere Nation hat ihren größten Sohn verloren. Unser Volk hat einen Vater verloren.

Südafrikas Präsident Jacob Zuma

Er hat uns auch verständlich gemacht, dass wir die Welt verändern können.

Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi

Bis zum Ende seiner Tage blieb er den leuchtenden Idealen des Humanismus und der Gerechtigkeit treu.

Russlands Präsident Wladimir Putin

Er hat uns aufgefordert, unsere Speere und Gewehre ins Meer zu werfen.

Navi Pillay, Uno-Menschenrechtskommissarin