Teileinigung im Atomstreit mit Iran: Teheran verzichtet auf hochprozentige Urananreicherung, im Gegenzug werden einige Sanktionen gelockert

Hamburg/Genf. Nach zähen, erschöpfenden Verhandlungen, nach ungezählten Frustrationen, Drohungen und Gegendrohungen kam der Durchbruch tief in der Nacht. Blass, aber zufrieden umarmte US-Außenminister John Kerry seinen französischen Amtskollegen Laurent Fabius, der iranische Außenamtschef Dschawad Sarif strahlte gelöst. Die Außenminister der fünf Veto-Mächte der Uno (USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien) plus Deutschland hatten mit dem Iran eine Vereinbarung zur Beilegung der seit Jahren gefährlich schwelenden Atomkrise erzielt. Innerhalb eines halben Jahren soll ein umfassenderes Abkommen folgen, in dem Teheran dann einem militärischen Atomprogramm verbindlich abschwören soll.

US-Präsident Barack Obama sprach in Washington symbolkräftig unter einem Porträt von Abraham Lincoln von einer „wichtigen ersten Etappe“. Es biete sich nun die Chance, den Weg in eine sicherere Welt zu beschreiten. Die Vereinbarung von Genf sieht im Kern vor, dass der Iran seine Urananreicherung bei fünf Prozent deckelt. Eine fünfprozentige Anreicherung des Kernbrennstoffs reicht für zivile Zwecke, nicht aber für die Herstellung von Nuklearwaffen. Dafür ist eine Anreicherung auf rund 90 Prozent erforderlich – die allerdings rasch erzielt werden kann, wenn erst einmal Material mit einem mindestens 20-prozentigen Anreicherungsgrad zur Verfügung steht. Der Westen, vor allem aber Israel und Saudi-Arabien, haben das iranische Regime im Verdacht, an einer nuklearen Bewaffnung zu arbeiten.

Die Urananreicherung war und ist der Hauptstreitpunkt des Problems. Die Iraner fordern ein verbrieftes Recht auf die Anreicherung. Das Genfer Abkommen jedoch läuft eher auf eine Art stillschweigender Duldung hinaus. Auch soll das bereits auf 20 Prozent angereicherte iranische Uran wieder verdünnt werden und der Atomenergiebehörde IAEA Zugang zur Uranmine Gachin sowie zur Anlage in Arak gewährt werden, die der Herstellung von „schwerem Wasser“ dient. Dies wird zur Moderation von Kernbrennstäben gebraucht. Die Arbeiten in Arak sollen teilweise sogar eingestellt werden. Inspektoren sollen überprüfen, ob sich Teheran an die Vereinbarung hält.

Ein – angeblich rein ziviles – Atomprogramm ist für Teheran auch eine Sache des Nationalstolzes. Das Regime von Revolutionsführer Ali Khamenei hat die Anreicherung von Iran im eigenen Land stets als „rote Linie“ definiert. Seit 2006 ist bekannt, dass der Iran Anreicherungsanlagen betreibt – in Natans und in Fordo. Die Anlagen sind zum Teil tief eingegraben und mit Luftabwehrsystemen gesichert. Während der iranische Präsident Hassan Rohani erklärte, die Vereinbarung von Genf erlaube es dem Iran, die Anreicherung fortzusetzen, sagte US-Außenminister Kerry: Ein Recht auf Anreicherung sei dem Iran in Genf keineswegs eingeräumt worden – einerlei, welche „Interpretationen“ im Umlauf seien. Hier gibt es fraglos Klärungsbedarf innerhalb jenes halben Jahres der „Probezeit“.

Im Gegenzug zur Transparenz und einer nuklearen Zurückhaltung des Iran will der Westen die den Iran schwer belastenden Wirtschaftssanktionen lockern und eingefrorene Gelder in Milliardenhöhe freigeben. Die Arbeitslosigkeit im Iran hat auch aufgrund der Sanktionen inzwischen eine Größenordnung von 25 Prozent erreicht. Das Regime fürchtet zivile Unruhen bei einer weiteren Verschärfung der Lage.

Nach Angaben des Weißen Hauses liegen die freigegebenen Gelder insgesamt bei rund sieben Milliarden Dollar. Doch blieben iranische Werte von rund 100 Milliarden Dollar weiter blockiert.

Während sich die Außenminister der Unterhändlerstaaten zufrieden und optimistisch über das in Genf Erreichte äußerten, kam Kritik aus Israel und Saudi-Arabien. „Die saudische Regierung ist sehr besorgt über diese Verhandlungen mit dem Iran und unglücklich über die Aussicht eines Abkommens“, sagte ein Vertreter der saudischen Regierung zum US-Sender CNN. Das sunnitische Saudi-Arabien, Hüter der heiligen islamischen Stätten in Mekka und Medina, ist der schärfste Rivale des schiitischen Iran in der islamischen Welt. Die Saudis befürchten, dass ein nuklear bewaffneter Iran zur uneingeschränkten Vormacht im Nahen Osten aufsteigen könnte.

Israels Regierung reagierte sogar ohne jede diplomatische Zurückhaltung. Die Gespräche in Genf seien ein „historischer Fehler“, sagte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu in Jerusalem. „Zum ersten Mal haben die führenden Mächte der Welt der Urananreicherung im Iran zugestimmt.“ Dabei ignorierten sie Sanktionen des Uno-Sicherheitsrats, die sie selber durchgesetzt hätten. Mühsam aufgebaute Sanktionen gegen den Iran würden nun im Gegenzug für „kosmetische iranische Konzessionen“ gelockert, sagte Netanjahu und fügte hinzu, Israel sei „dieser Vereinbarung nicht verpflichtet“.

Netanjahu hatte zuvor in den USA vor einem „zweiten Holocaust“ und Deutschland vor iranischen Raketenangriffen gewarnt. Israels Außenminister Avigdor Lieberman sprach vom „größten diplomatischen Sieg“ Teherans in den letzten Jahren. Das werde nun das Wettrüsten in der Region anheizen. Die Londoner „Sunday Times“ berichtete, Saudi-Arabien und Israel hätten sich auf eine Kooperation für einen Angriff auf den Iran geeinigt. Nach Angaben der Zeitung seien die Saudis „fuchsteufelswütend“ und wollten den Israelis ihren Luftraum sowie Unterstützung bei einem Luftangriff auf iranische Atomanlagen zur Verfügung stellen.