Die deutsche Wirtschaft fürchtet schwerwiegende Folgen für den Export. In Asien, Europa und den USA schlossen die Börsen mit negativen Schlusskursen. Die Zuversicht bei den US-Verbrauchern sinkt.

New York. Das eigentlich Undenkbare ist eingetreten: Die Behörden der größten Volkswirtschaft der Welt stellen zu großen Teilen ihren Dienst ein. Rund 800.000 der insgesamt drei Millionen Staatsbediensteten der Vereinigten Staaten gingen in unbezahlten Zwangsurlaub, viele Ämter bleiben geschlossen. Nur wer als „unabdingbar“ für Sicherheit und Erhalt der Ordnung gilt, darf weiterarbeiten. Weil sich Demokraten und Republikaner nach einem erbitterten, tagelangen Streit nicht auf einen Nothaushalt einigen konnten, droht dem Land nun der Stillstand.

Und die gescheiterte Einigung über den Haushalt ist nur das zweitgrößte Problem, mit dem die US-Regierung gerade zu kämpfen hat. Viel schlimmer wiegt die Tatsache, dass dem Land am 17. Oktober das Geld ausgeht. An diesem Tag wird laut Berechnungen von Finanzminister Jack Lew das gesetzliche Kreditlimit von 16,7 Billionen Dollar (12,4 Billionen Euro) ausgeschöpft sein. Die Summe entspricht etwa 105 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Zum Vergleich: Deutschlands Schuldenquote liegt bei rund 80 Prozent.

Sollten sich die zerstrittenen Parlamentsflügel über einen längeren Zeitraum nicht einigen können, drohen Folgen für die Wirtschaft der USA und der gesamten Welt. Mark Zandi, Chef-Ökonom der US-Rating-Agentur Moody’s, schätzt, das Wachstum werde im Falle eines zweiwöchigen Stillstands um 0,3 Prozentpunkte geschmälert. Dauere der Zwangsurlaub dagegen drei bis vier Wochen, könnte das Wachstum um 1,4 Prozentpunkte Schaden nehmen. Eine Lücke von drei bis vier Wochen werde einen „beträchtlichen wirtschaftlichen Schaden“ anrichten. Ein Stillstand, der sich über mehr als zwei Monate hinziehe, „wird wahrscheinlich eine neue Rezession herbeiführen“, warnt Zandi.

Die Regierung hat den Kongress deswegen aufgefordert, die gesetzliche Schuldenobergrenze anzuheben. Das von den Republikanern dominierte Repräsentantenhaus will einer höheren Kreditgrenze nur zustimmen, wenn Obama seine Gesundheitsreform „Obamacare“ verschiebt. Das wiederum schließt der Präsident kategorisch aus. Gibt es keine Einigung in dem Punkt, sind die USA de facto pleite. In der gesamten US-Geschichte ist dies noch nie der Fall gewesen, 2011 wurde es knapp verhindert.

Deutsche Wirtschaft ist besorgt

Auch die deutsche Wirtschaft ist besorgt. „Wenn sich die Amerikaner in der jetzigen Zeit selbst ein Bein stellen, ist das brandgefährlich für die gesamte Weltwirtschaft und damit natürlich auch für die deutsche Exportwirtschaft“, sagte der Präsident des Außenhandelsverbands BGA, Anton Börner. Weil Schwellenländer wie Brasilien oder China gerade selbst einen Durchhänger hätten, seien neue Impulse aus den USA wichtig. Denn grundsätzlich sind laut Verbänden die Perspektiven für die Vereinigten Staaten günstig, da sie sich mit der günstigen Schiefergas-Förderung – dem sogenannten Fracking – Wettbewerbsvorteile bei den Energiepreisen verschafft haben. Stattdessen legten die USA nun möglicherweise den Rückwärtsgang ein. Sie schadeten damit sich selbst, gefährdeten aber auch die deutsche Wirtschaft. „Man kann nur hoffen, dass die Akteure bald zur Vernunft kommen und die ideologischen Gräben wieder zuschütten, bevor Schlimmeres passiert“, sagte Börner. Kritische Töne schlug auch der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) an. Man verfolge den Haushaltsstreit in den USA mit großer Sorge und Unverständnis. „Die Erholung der Weltwirtschaft darf nicht zum Spielball werden“, sagte Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben. Die USA seien zweitwichtigster deutscher Exportabsatzmarkt, immer mehr Investitionen deutscher Industriebetriebe gingen nach Übersee. „Handlungsunfähige Behörden stören den transatlantischen Handel und Austausch empfindlich.“

Der Hauptgeschäftsführer des Industrieverbandes BDI, Markus Kerber, warnte vor einer Verschlimmerung der Lage. Die Auswirkungen des aktuellen Verwaltungsstillstandes seien wohl überschaubar – „ein weitaus größeres wirtschaftliches Risiko liegt in der Zahlungsunfähigkeit des Staates, wenn der Kongress die Schuldenobergrenze bis Mitte Oktober nicht erhöht“, so Kerber. Eine andauernde Lähmung führe zu Investitionsunsicherheit, die zulasten der immer noch fragilen wirtschaftlichen Erholung in den USA ginge. „Da die USA der größte deutsche Exportmarkt außerhalb der EU ist, hat dies auch negative Auswirkungen auf den deutschen Außenhandel“, sagte Kerber.

Eine Absenkung der Kreditwürdigkeit der USA, steigende Zinsen, sinkendes Wachstum, eine Abwertung des Dollar, Tumulte an den Finanzmärkten – auch Experten können derzeit nur spekulieren, wie eine Insolvenz der größten Volkswirtschaft der Welt in der Praxis aussehen könnte. Einig sind sie sich im Moment lediglich darin: Die Folgen für die Weltwirtschaft wären katastrophal. „Es wäre zerstörerisch für die Volkswirtschaft“, sagt Moody’s-Chefökonom Zandi. Eine Zahlungsunfähigkeit der USA würde „den Albtraum der Rezession zurückbringen“. Ökonomen warnen auch vor dem psychologischen Effekt einer Zahlungsunfähigkeit. „Wir befinden uns in einem politischen Strudel“, sagt Bernard Baumohl, Chefökonom des Thinktanks Economic Outlook Group in Princeton. „Was alle derzeit beobachten, ist, wie sich die Unsicherheit auf die Konsumenten und die Unternehmenspsychologie auswirkt.“ Die Zuversicht bei den US-Verbrauchern sank im September auf ein Fünf-Monats-Tief.

Wahl zwischen Pest und Cholera

Dem US-Präsidenten bleibt im Falle der Zahlungsunfähigkeit die Wahl zwischen Pest und Cholera. Entweder er bricht das Gesetz, indem er Lehrer, Feuerwehrmänner und FBI-Agenten nicht mehr bezahlt. Oder er ignoriert die Schuldengrenze, was ebenfalls illegal wäre. Das zweite Szenario könnte besonders für die Euro-Zone gefährliche Folgen haben, fürchtet Iwan Morgan, Professor für US-Studien am University College London: „Es wäre ein sehr negatives Beispiel für Euro-Länder, die sich strikte Sparpläne auferlegt haben, um ihre Überschuldung abzubauen.“ Was also bleibt, ist die Hoffnung, dass die Politiker in Washington bald die Vernunft wiederfinden, an der es ihnen in den vergangenen Tagen gemangelt hat. Die Weltwirtschaft wird es ihnen danken.

Wie schlimm die Folgen für das Wachstum sein werden, hängt letztlich von der Dauer des Zwangsurlaubs ab. Die globalen Aktien- und Rohstoffmärkte fingen schon am Montag an, die drohende Pattsituation im Kongress einzupreisen. In Asien, Europa und den USA schlossen die Börsen mit negativen Schlusskursen, die Energiepreise sackten ab. Eine Panik an den Börsen sei in den kommenden Tagen zunächst nicht zu erwarten, besagt eine Studie der Bank of America. Elfmal konnte sich der US-Kongress seit 1981 nicht rechtzeitig auf einen Haushaltsplan einigen, und Bundesbehörden mussten deshalb vorübergehend schließen. Durchschnittlich stieg der Aktienindex S&P in diesen Phasen um 0,1 Prozent. Im darauffolgenden Monat legte der Index wieder um 2,8 Prozent zu.

Die meisten Zwangspausen dauerten selten länger als drei Tage. Doch selbst der 21-tägige Shutdown 1995 brachte die Aktienmärkte nicht ins Wanken: Der S&P legte in dieser Zeit ebenfalls um 0,1 Prozent zu, im darauffolgenden Monat verbuchte er sogar ein Plus von 4,8 Prozent. Die Angst ist dennoch berechtigt, dass das zarte Wachstum der USA Schaden nehmen wird. Dabei standen die Zeichen in den vergangenen Monaten eigentlich auf Aufschwung in Amerika. Seit vier Jahren ist das Land der Rezession entronnen; zuletzt erholte sich auch der Häusermarkt wieder, und die Arbeitslosigkeit sinkt. Wegen der positiven Konjunkturwerte hatte die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) sogar angekündigt, bald die Gelddruckmaschinen zu drosseln.