Der Obergefreite der US-Army muss ins Gefängnis, weil er die Enthüllungsplattform mit Interna versorgt hatte. WikiLeaks-Informant verurteilt. Vom schwersten Vorwurf der „Unterstützung des Feindes“ wurde Bradley Manning aber freigesprochen.

Washington. Bradley Manning muss ins Gefängnis – aber nicht lebenslänglich. Das hat Oberst Denise Lind im Militärprozess gegen den WikiLeaks-Informanten entschieden. Die Richterin sprach den Obergefreiten der US-Army vom gewichtigsten Vorwurf der „Unterstützung des Feindes“ frei. Eine Haftstrafe war erwartet worden, nachdem sich Manning in insgesamt zehn von 22 Anklagepunkten schuldig bekannt hatte. Allein auf diese Vergehen stehen bis zu 20 Jahre Haft. Das Strafmaß wird in einigen Tagen festgesetzt.

Die Urteilsverkündung durch Lind am Dienstagmittag (Ortszeit) in Fort Meade in Maryland wurde von Mannings Unterstützern mit einer gewissen Erleichterung aufgenommen. Gleichwohl hätten sie den Angeklagten am liebsten von allen Anklagepunkten entlastet gesehen. Denn in ihren Augen ist der 25-Jährige ein ehrenwerter Informant, ein „Whistleblower“. Manning hatte vor drei Jahren 750.000 zum großen Teil vertrauliche Dokumente zu den Kriegen in Afghanistan und im Irak sowie den diplomatischen Verkehr der US-Botschaften mit dem State Department der Enthüllungsplattform WikiLeaks zugespielt.

Sein Anwalt David Coombs beschrieb Manning im Schlussplädoyer als „naiven“, aber wohlmeinenden Jüngling. Für den Chefankläger, Major Ashden Fein, war Manning hingegen vor allem ein „Verräter“ und „geltungssüchtiger“ Anarchist, der auf Ruhm aus gewesen sei.

Richterin teilt Kritik an Haftbedingungen

Die Lauterkeit seiner Motive kann letztlich nur Manning beurteilen, der seit 2009 im Irak als Auswerter Armeeberichte analysierte. Dass er aber eine schwere Straftat beging, ist unstrittig. „Ein Obergefreiter hat nicht zu entscheiden, ob das Gespräch zwischen einem hochrangigen US-Vertreter und dem König eines Golfstaates öffentlich gemacht werden sollte“, sagt mit Philip J. Crowley ein durchaus wohlmeinender Beobachter. Der damalige Sprecher des State Department hatte seinen Hut nehmen müssen, nachdem er die Kollegen vom Pentagon wegen der überharten Isolationshaft rügte, der Manning neun Monate lang im Militärgefängnis Quantico (Virginia) ausgesetzt war.

Crowleys Kritik an den Haftbedingungen teilte Richterin Lind übrigens. Darum verkündete sie schon zu Beginn des siebenwöchigen Verfahrens, von jeder Haftstrafe seien 112 Tage abzuziehen. Auch die insgesamt drei Jahre, die Manning seit seiner Festnahme im Mai 2010 in Militärgefängnissen verbrachte, dürften bei der Festlegung des Strafmaßes Anrechnung finden.

Dass die US-Diplomatie Rückschläge erlitt durch die Publizierung nicht immer freundlicher Einschätzungen ausländischer Gesprächspartner, darf unterstellt werden. Das spektakulärste Dokument, das Manning WikiLeaks zuschanzte, war hingegen laut Coombs gar nicht geheim. Es handelt sich um das Video der tödlichen Attacke eines US-Hubschraubers gegen vermeintliche Aufständische in Bagdad, bei denen es sich in Wahrheit um Journalisten handelte.

Manning wurde schon als Kind gemobbt

So unstrittig die Verstöße von Manning gegen Gesetz und strenge Dienstvorschriften sind, bleibt doch die Frage nach der Verantwortung Dritter. Manning, der nur 1,57 Meter große Computer-Nerd, wurde schon als Kind massiv gemobbt. Der Sohn einer Trinkerin musste zudem seine Homosexualität aufgrund der 2010 noch gültigen Armeevorschriften verbergen. Trotzdem schickte er einem Vorgesetzten ein Foto von sich in Frauenkleidung mit dem Hinweis, seine Probleme mit seiner geschlechtlichen Identität könnten seine Arbeit beeinträchtigen. Für Mannings Zugang zu den sensiblen Dokumenten hatte das keine Konsequenzen.

Manning entschied sich im März gegen ein Jury-Verfahren, bei dem mindestens fünf Geschworene über seine Schuld oder Unschuld entschieden hätten. Offenkundig fühlten er und Anwalt Coombs ihr Anliegen besser aufgehoben bei Richterin Lind. Denn so groß die Sympathie für Manning in Teilen der Öffentlichkeit ist, betrachten ihn doch Militärs überwiegend als Verräter, der Kameraden und in den Dokumenten teilweise namentlich genannte Zuträger der US-Streitkräfte in den Kriegsgebieten gefährdet habe. Die Jury hätte ausschließlich aus Soldaten bestanden.

Die 53-jährige Lind, die einer Familie gänzlich ohne militärische Traditionen im Bundesstaat New York entstammt, hat hingegen in ihrer Abschlussarbeit ausgerechnet über das Recht von Journalisten auf Zugang zu Militärprozessen geschrieben. Sie kritisierte darin laut „Washington Post“ bestehende Restriktionen, weil sie „das Recht der Medien aus dem Ersten Verfassungszusatz verletzen“.

Nach dem Urteil sieht ein unreifer Jüngling mit vagen Träumen von einer „besseren Welt“ und wenig Reflexion über eigene Pflichten weiteren Jahren im Gefängnis entgegen. Aber versagt haben vorgesetzte Militärs mindestens ebenso wie Bradley Manning.