Ein Gespräch mit dem Internet-Aktivisten Daniel Domscheit-Berg über WikiLeaks, illegale Datensammler und Gefahren durch Politik und Konzerne.

Fürstenberg/Havel. Wie entkommt man der Datensammelwut der Geheimdienste? Wenn das einer weiß, dann Daniel Domscheit-Berg, dem mit Julian Assange und WikiLeaks die größte Enthüllung aller Zeiten gelang – trotz Überwachung. Wir müssen, sagt Domscheit-Berg, unser Verhalten und die Infrastruktur ändern. Warum, zeigt auch der Dokumentarfilm „We Steal Secrets“, der jetzt in die Kinos kommt.

Hamburger Abendblatt: Besitzen Sie ein normales, registriertes Handy?
Daniel Domscheit-Berg: Ich hatte sogar fast mein ganzes Leben die gleiche Nummer, aber mein registriertes Telefon benutze ich schon geraume Zeit nicht mehr. Parallel hatte ich immer unregistrierte. Selbst das ist heutzutage ein, realistisch betrachtet, sinnloses Unterfangen. Wir hatten ein Leak über eine Firma namens Thorpeglen und ihre Mobilfunküberwachung. Die war in der Lage, Nutzer, die regelmäßig Handys und Sim-Karten wechseln, trotzdem zu identifizieren. Diese Firma hatte 2011 Daten von mehr als 1,2 Milliarden Handynutzern in einer Datenbank. Auch das ist eine Art soziales Netz, viel gefährlicher als Facebook, weil es weder freiwillig noch öffentlich Daten zu sozialen Beziehungen speichert.

Man sollte glauben, wer in der Schweiz eine unregistrierte Sim-Karte kauft, der telefoniert anonym.
Domscheit-Berg: Das funktioniert nur, solange Sie auch Ihr restliches Verhalten komplett verändern. Denn Überwachung registriert sämtliche Parameter. Jeder dieser Schnipsel für sich ist harmlos; wenn man sie aber alle korreliert, kann man ein Profil erstellen, das sich über verschiedene Geräte fortsetzt.

Wie war das mit Ihnen bei Wikileaks?
Domscheit-Berg: Ich hatte mehrere Dutzend Sim-Karten und Mobilgeräte. Wo immer 20-Euro-Handys angeboten wurden, habe ich einen ganzen Schwung gekauft. Aber selbst bei mir als recht gut organisiertem Menschen gab es immer wieder Gelegenheiten, bei denen ich keine neue Sim-Karte hatte, die ich einlegen hätte können. Welche von den gebrauchten sollte ich verwenden? In welchem Handy kann ich sie nutzen? Ist das richtige Handy geladen? Bei welcher Funkzelle habe ich mich mit dieser Karte das letzte Mal eingebucht? Wie weit laufe ich von meiner Wohnung weg, bevor ich einschalte? Wer das konsequent betreiben will, begibt sich in eine vollkommen kranke Welt.

Das hält man nicht lange durch.
Domscheit-Berg: Völlig unmöglich. Dieser Wettlauf zwischen Ausspähung und Schutz davor wirkt wie eine Neuauflage des Rüstungswettlaufs im Kalten Krieg. Nur die Fronten sind diffuser, es gibt kein klares Gut und Böse, eigentlich sind alle Freunde – die sich trotzdem ausspionieren und elektronisch aufrüsten, was das Zeug hält. Diesen Rüstungsmarkt unter Kontrolle zu kriegen ist eine der Kernaufgaben der nächsten Jahre. Was wir gerade sehen, sind die letzten Versuche dieser Struktur, sich zu erhalten und so viel Kontrolle auszuüben, dass sie keine Macht verliert.

Es könnten auch nicht die letzten Zuckungen des alten Systems sein, sondern erste Pfeiler einer neuen Architektur.
Domscheit-Berg: Die Frage ist berechtigt. Trotzdem: Wir haben gerade eine Chance, mit der niemand gerechnet hat: dem allem zu entkommen.

Warum gerade jetzt?
Domscheit-Berg: Weil die Mehrheit beginnt, den Umfang des Problems zu verstehen. Was Whistleblower vor fünf oder zehn Jahren enthüllten, hat kaum jemand verstanden. Heute, da fast jeder Privatmann und fast jede Firma Informationen elektronisch kommuniziert, begreift jeder, warum Ausspähung zum Problem wird.

Gemessen am Ausmaß des NSA-Skandals, finde ich, ist die Empörung längst nicht groß genug.
Domscheit-Berg: Ich war die ersten Tage, nachdem die Enthüllungen hochkamen, extrem pessimistisch, weil in vielen Kommentaren zu lesen war, das habe man doch schon immer geahnt. Aber die Stimmung ist gekippt. Ich habe einen großartigen Opa, der lange für die Sozialdemokraten aktiv war, einen der integersten Menschen, die ich kenne. Er hat nie recht verstanden, was ich in den letzten Jahren tat. Der ist jetzt so sauer, das kann man sich gar nicht vorstellen, weil er zum dritten Mal in seiner Lebensspanne das Gleiche erlebt.

Trotzdem werden Facebook & Co. alles, was ich ihnen anvertraue, an Unbekannte verkaufen. Das Vertrauen in sämtliche Datensammler ist irreparabel dahin. Nicht nur in die. Vertrauen Sie unserer Bundesregierung, dass sie die US-Sammelwut in die Schranken verweisen wird?
Domscheit-Berg: Vertrauen ist nicht das richtige Wort. Aber die Hoffnung darauf ist alternativlos. Dies ist eine historisch einmalige Chance: Wir müssen als Gesellschaft klären, ob wir uns in eine total überwachte Welt entwickeln wollen.

Wir können nur klären, wovon wir wissen. Bisher hat sich unsere Politik noch nicht einmal dazu geäußert, ob sie von den Spähaktionen wusste.
Domscheit-Berg: Wenn eine Kanzlerin darüber mit ihrem Volk nicht reden darf, weil sie vielleicht eine Verschwiegenheitserklärung unterschrieben hat, kann in dem politischen System etwas nicht stimmen. Dies berührt den Kern unseres politischen Zusammenlebens.

Die Geheimdienste mal beiseite. Stellen wir uns die Aufgabe: Wie entwerte ich den Datenschatz über mich, mit dem Leute Geschäfte machen?
Domscheit-Berg: Entweder ich vermeide, dass die Daten über mich anfallen – oder es wird sehr schwierig, die Datenspur zu verwischen.

Gründen wir doch eine Gemeinschaft von 1000 oder 10.000 Internetnutzern in, sagen wir, Friedrichshain-Kreuzberg, die all ihre Netzverbindungen über einen lokalen Knoten laufen lassen, wo ihre IP-Nummern anonymisiert weitergeleitet werden. Und schon wüsste Google nicht mehr, wer wonach gesucht hat.
Domscheit-Berg: Ja, genau das ist ein Modell, das funktionieren könnte, zu dem wir hinmüssen. Das Internet ist nicht dafür gedacht, dass fünf große Konzerne dort alles machen.