EU und USA setzen Wachstumshoffnungen in ein geplantes Abkommen. Doch viele Streitpunkte sind noch offen

New York. Füllen mit Hormonen gefütterte Schweine oder mit Chlor desinfizierte Hühnerbrüste künftig die Kühlregale europäischer Supermärkte? Werden die USA die Einfuhr von europäischem Rindfleisch wieder in großem Stil erlauben oder ist das den Amerikanern wegen der BSE-Skandale weiterhin zu gefährlich? Dürfen die Europäer sich wirklich Parmesan und Mozzarella als Begriffe schützen lassen? Und können sie ihren amerikanischen Partnern bei Geschäften überhaupt vertrauen, wenn diese sie gleichzeitig nach Herzenslust ausspionieren?

Die Sorgen über das geplante Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union (EU) und den USA sind auf beiden Seiten des Atlantiks groß. Und doch versprechen sich beide Kontinente große Wachstumsimpulse von dem Pakt, der mit 800 Millionen Menschen die größte Freihandelszone der Welt schaffen soll. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso sprach vom „billigsten Stimulierungsprogramm, das man sich vorstellen kann“.

Am Montag trafen sich die Delegationen erstmals zu Auftaktverhandlungen in Washington. Vorgesehen ist eine einwöchige Aufwärmrunde, um sich gegenseitig die Verhandlungsziele zu erläutern. Am Mittwoch wollen die Vertreter ein erstes Zwischenergebnis präsentieren. Die Verhandlungen sind auf zwei Jahre angelegt.

Überschattet wurden die Gespräche von dem Verdacht, dass der US-Geheimdienst NSA die Europäer umfangreich ausspioniert hat. Einige europäische Politiker hatten sogar gefordert, die Verhandlungen auszusetzen, solange sich die USA nicht klar zu den Bespitzelungsvorwürfen äußerten. Letztlich konnten die Gespräche am Montag doch wie geplant starten. Die Europäer hatten das Treffen allerdings an die Klärung des Spionageskandals geknüpft. Arbeitsgruppen mit Geheimdienstexperten aus den USA und der EU nehmen deshalb nach EU-Angaben ebenfalls ihre Beratungen auf.

Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) sagte, das Auftakttreffen sei trotz der Ausspähaffäre richtig. Bei aller Enttäuschung über die Amerikaner wäre ein Aussetzen der Verhandlungen ein falsches Signal, sagte er der „Passauer Neuen Presse“. Das Freihandelsabkommen liege „im Interesse Europas und im besonderen Sinne Deutschlands“. Die Gespräche seien außerdem eine „gute Gelegenheit, das Thema Datenschutz und Datensicherheit ganz oben auf die Tagesordnung zu setzen“. Freihandel sei ohne Mindeststandards beim Datenschutz nicht denkbar.

Trotz der Unstimmigkeiten stehen die Chancen nicht schlecht für die „Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft“ (TTIP), wie der Pakt offiziell heißt. Sowohl Europäer als auch die USA setzen große Hoffnungen in das Abkommen. Die EU-Kommission geht von einem zusätzlichen Wachstumsimpuls von einem halben Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus. Das renommierte Londoner Centre for Economic Policy Research rechnet sogar mit Gewinnen von jeweils knapp einem Prozent des BIP pro Jahr.

Schon heute erwirtschaften EU und USA zusammen fast die Hälfte des globalen Bruttoinlandsprodukts und ein Drittel des Welthandels. Würden die Partner dabei ihre Barrieren abbauen, könnte der Effekt enorm sein. Ziel ist ein einheitlicher Wirtschaftsraum ohne Zölle und Einfuhrquoten, aber mit gemeinsamen Produktstandards. Die Zölle werden voraussichtlich die geringsten Probleme verursachen. Durchschnittlich sind sie mit vier Prozent ohnehin schon recht niedrig, ihre Absenkung auf null gilt als relativ unstrittig.

Komplizierter dürften die Verhandlungen bei der Deregulierung der Handelsbeschränkungen werden. Besonders auf dem Agrarsektor und bei Lebensmittelrichtlinien gibt es viele Streitpunkte, die die Gespräche in die Länge ziehen dürften. Aber auch in anderen Branchen bremsen Gesetze den Handel aus. Ein Beispiel sind Sicherheitsvorschriften für Autos: Könnte man die unterschiedlichen Standards bei der Autoproduktion in der EU und den USA vereinheitlichen, würde das die Preise um zehn bis 20 Prozent senken – so schätzt die EU-Kommission. Auch bei Genehmigungsverfahren lassen sich hohe Kosten sparen. Diskutiert werden soll beispielsweise, ob die Zulassung eines Produkts durch die europäische Arzneimittelbehörde auch in den USA automatisch anerkannt werden könnte und umgekehrt.

Drittes Oberthema bei den Verhandlungen soll die Liberalisierung von Dienstleistungen sein. Dazu gehören unter anderem Finanzdienstleistungen, aber auch die Öffnung von öffentlichen Ausschreibungen für ausländische Firmen. Dürfen sich deutsche Firmen künftig um den Bau von neuen Brücken oder Straßen in den USA bewerben? Ist es einem US-Unternehmen andersherum erlaubt, die Aktenbestände einer Stadtverwaltung zu digitalisieren? Diese Fragen müssen geklärt werden. Auch Luftfahrtunternehmen sind an der Dienstleistungsliberalisierung interessiert. Bislang dürfen europäische Fluglinien bei Zwischenlandungen in den USA keine neuen Passagiere aufnehmen. Daher fordern sie, ihren US-Konkurrenten gleichgestellt zu werden.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat die Aufnahme der Verhandlungen über das Freihandelsabkommen begrüßt. „Das ist ein gutes Zeichen“, sagte sie am Montag in Berlin bei einer Feier zum 130. Jubiläum des US-Elektronikkonzerns General Electric in Deutschland. Die Bundesrepublik sei sehr interessiert an einer guten transatlantischen Kooperation. Diese wolle man nun weiter stärken.