Das geplante Freihandelsabkommen der USA und EU ist alternativlos

Man hätte sich bessere Bedingungen für den Start der Verhandlungen über die Schaffung der größten Freihandelszone der Geschichte wünschen können. Den Europäern wärmt es nicht gerade das Herz, dass ihre amerikanischen Freunde offenbar die diplomatischen Vertretungen der EU und die Zentrale der Union in Brüssel abgehört haben.

Die Ausspähaktionen der NSA spielen nicht nur atmosphärisch eine erhebliche Rolle bei diesen Gesprächen, sondern auch substanziell. Es muss angenommen werden, dass die in ihren Ausmaßen schon paranoid anmutende Datensammlung auch der US-Wirtschaftsspionage dient – keine ideale Vertrauensbasis für ein Handelsabkommen.

Und wahrlich keine besondere Ermutigung für die Europäer, den USA auch künftig Daten über Flugpassagiere und Finanztransaktionen zur Verfügung zu stellen. Das Vertrauen in die USA ist beschädigt, dennoch ist diese Freihandelszone, die 800 Millionen Bürger beiderseits des Atlantiks zusammenschließen würde, alternativlos. Bereits jetzt umfasst der Handel zwischen den transatlantischen Partnern zwei Milliarden Euro täglich und damit fast die Hälfte des Welthandels. Der Wegfall unterschiedlicher technischer Normen, Sicherheitsstandards und Wettbewerbsbedingungen könnte den Handel enorm befeuern und Millionen neue Arbeitsplätze schaffen.

Zum ersten Mal wurde in den 1990er-Jahren über eine solche Zone gesprochen – als deutlich wurde, in welch atemberaubenden Tempo Asien den etablierten Handelsnationen den Schneid abkaufen würde. Der gigantischen Wirtschaftskraft von Staaten wie China, Indien oder Indonesien kann nur durch engere Kooperation im Westen begegnet werden. Geradezu rührend-tragikomisch nimmt sich das Fähnlein der britischen Europa-Gegner aus, die ernsthaft glauben, Großbritanniens Wirtschaft könne zwischen den Beinen der kämpfenden Saurier lange überleben.

Die USA sind – bei allen Unterschieden und gegenwärtigen Ärgernissen – der ideale Partner für Europa. Übrigens sind die Vereinigten Staaten Deutschlands zweitwichtigster Exportmarkt nach Frankreich. Das Freihandelsabkommen könnte den Export von deutschen Branchen-Spezialitäten wie Kraftfahrzeugen und Chemieprodukten noch beflügeln. Allerdings könnte die mächtige US-Agrarindustrie wie ein Raubtier in das geschützte Gehege der europäischen Bauern einfallen. Es darf nicht dazu kommen, dass mühsam errungene Qualitätsstandards dem freieren Warenstrom geopfert werden. Und dabei geht es nicht nur um die berüchtigten, in Chemikalien gebadeten „Chlorhähnchen“ aus den USA, die in Europa bitte nicht auf den Teller kommen sollten.

Die am Montag aufgenommenen Verhandlungen werden entsprechend schwierig sein und sich über Jahre hinziehen. Am Ende muss nicht nur der US-Kongress zustimmen, es müssen auch alle 28 EU-Mitgliedstaaten und das EU-Parlament einverstanden sein. Gegner dieser Freihandelszone befürchten ein transatlantisches Diktat und sprechen bereits von einer „Wirtschafts-Nato“.

Nun, es gibt mit Blick auf die Atlantische Allianz sicher schlimmere Etikettierungen. Und allein der Wegfall der Zölle zwischen der EU und den USA, die im Durchschnitt drei Prozent betragen, könnte größeren Raum für notwendige Gewinne schaffen. Vorausgesetzt, eine künftige Bundesregierung dreht den Unternehmen nicht schon vorher per Steuerschraube die Luft ab.

Der Start der Verhandlungen wird übrigens begleitet von Alarmrufen, dass die Ausfuhren der Exportnation Deutschland im Mai kräftig um 2,4 Prozent eingebrochen sind. Ursachen sind vor allem die Krisen bei unseren EU-Partnern wie Frankreich, Spanien und Italien, aber auch, dass der Wirtschaftslokomotive China jüngst ein wenig der Dampf ausgegangen ist. Auch dies ist ein Argument dafür, den Handel mit den 315 Millionen Amerikanern zu liberalisieren.

Der Verfasser ist Chefautor des Hamburger Abendblatts