Generalsekretär der Hisbollah rechtfertigt sich für Militäreinsatz in Syrien. Krieg droht ganze Region zu erfassen

Berlin. „Das ist unser Kampf, und wir wissen, was wir tun“, sagte Hassan Nasrallah, Generalsekretär der schiitischen Hisbollah, zu Zehntausenden seiner Anhänger im Libanon. Wie üblich wurde seine Rede, aus Angst vor einem Anschlag, per Video übertragen. „Ich habe euch immer Sieg versprochen, und ich verspreche euch erneut einen Sieg“, versicherte er den jubelnden Menschen. Am 13. Jahrestag des Endes der israelischen Besatzung des Südlibanon lieferte Nasrallah zum ersten Mal eine ausführliche Rechtfertigung für den Militäreinsatz seiner Miliz in Syrien. Seit Januar kämpfen Eliteeinheiten der Hisbollah an der Seite der syrischen Armee. Gemeinsam hatten sie die Belagerung der Rebellen von Daraa, in der Nähe der jordanischen Grenze gebrochen und den Nachschubweg nach Damaskus wiederhergestellt. Zurzeit versuchen sie Kusair, eine strategisch wichtige syrische Grenzstadt zum Libanon, mit allen Mitteln „von Terroristen zu befreien“.

In der arabischen Welt galt die libanesische Hisbollah bisher als „glorreiche Widerstandsbewegung“. Die Miliz konnte dem übermächtigen israelischen Militär mehrfach Paroli bieten und es an den Rand einer Niederlage bringen. Durch die Unterstützung des Assad-Regimes ist es mit dieser idealisierten Reputation vorbei. Für die überwiegend sunnitische Öffentlichkeit sind Hisbollah-Guerillas keine Freiheitskämpfer mehr, sondern Terroristen. „Die Hisbollah hat ihre gesamte Glaubwürdigkeit verloren“, hieß es auf der Webseite der sunnitischen Muslimbruderschaft. „Sie hat ihr sektiererisches Gesicht entlarvt, als sie Kämpfer schickte, um das Regime beim Töten von Zivilisten zu unterstützen.“

Mit dem Einigungseffekt der Hisbollah unter den Sekten des Islams ist es vorbei. Sie spaltet sie mehr und mehr zu Feinden. Das alte Schisma zwischen Schiiten und Sunniten hat seinen Ursprung in der Schlacht von Kerbela, die vor 1300 Jahren stattfand. Im Irak bringen sich bereits seit Monaten Schiiten und Sunniten gegenseitig um. Fast kein Tag vergeht, an dem nicht Dutzende von Menschen durch einen Selbstmordanschlag sterben. Nun besteht die Gefahr, dass sich das Schisma im Libanon, in Syrien und in der gesamten Region ausbreitet.

„Es ist eine nationale und religiöse Pflicht von uns allen, Nasrallah zu stoppen und den Libanon vor ihm zu retten“, sagte Bahrains Außenminister Scheich Khaled Bin Ahmad al-Khalifa. Die Hisbollah, die Partei Gottes, sollte sich in die „Partei des Satans umbenennen“, meinte der türkische stellvertretende Premierminister Bekir Bozdag. Im Libanon fand Oppositionsführer Saad Hariri die Rede des Hisbollah-Generalsekretärs „unglaublich“. „Nasrallah verleugnet den libanesischen Staat, das Volk, die Armee und die Zivilgesellschaft“, sagte er. Das sind verständliche Worte des ehemaligen libanesischen Premierministers, befindet sich die Hisbollah doch auf einem Alleingang. Die Miliz ist dem langjährigen verbündeten Regime in Damaskus näher als dem eigenen Land. Nicht zu vergessen: Der syrische Bürgerkrieg wird längst auf libanesischem Boden ausgefochten. Seit Juni 2011 beschießen sich in Tripolis regelmäßig Anhänger der syrischen Rebellen und diejenigen von Präsident Baschar al-Assad.

Dem Hisbollah-Chef scheint es egal zu sein. In seiner Rede behauptete er, der Kampf in Syrien sei nichts anderes als der Kampf gegen Israel und die Vormachtstellung der USA in der Region. „Niemand soll glauben, wir lassen unseren Verbündeten Assad im Stich“, verkündete er. Die Hisbollah braucht die Achse Beirut–Damaskus–Teheran, um zu überleben. Ohne eine zugeneigte Regierung in Syrien kann es keine umfangreichen Waffenlieferungen aus dem Iran geben. Das Projekt des „Widerstands gegen Israel“ und gegen die „zionistische Besatzung Palästinas“ wären damit dem Untergang geweiht. Projekte, die politisch-strategische, aber auch religiöse Bedeutung haben. Der „Widerstand gegen Zionismus“ ist ein Fundament der iranischen Revolution. „Der Kampf gegen Unterdrückung“ wurde mit Ajatollah Khomeini zu einem religiösen Dogma. „Die Inkarnation der Unterdrückung ist die Besatzung eines Landes“, so legte es der erste Revolutionsführer fest. Die schlimmste aller Besatzungen sei die zionistische in Palästina. Widerstand gegen Israel wird damit zur Pflicht.

Im Iran sind diese Maximen nicht wegzudenkende Bestandteile der Staatspropaganda, die von Politikern wie Theologen unaufhörlich bemüht werden. Politik und Religion sind untrennbar miteinander verquickt. Kein Wunder, dass der Iran so bedingungslos an der Seite des Regimes von Baschar al-Assad steht. In diese Philosophie des Widerstands werden andere „imperialistische Staaten“ mit eingebunden. Dazu zählen natürlich die USA. Sie sind mit den Worten vom Obersten Führer des Iran, Ajatollah Khamenei, der Prototyp einer „arroganten Macht“. Der Kampf gegen die „Arroganten“ auf der Seite der „Unterdrückten“ ist heute für Schiiten ein fester Grundsatz.

Nasrallah bringt das nicht in einen Gewissenskonflikt, wie man meinen könnte. Er kämpft bedingungslos für einen Diktator und ist bereit, bis zum bitteren Ende zu gehen. Schließlich spricht er von einem Sieg. Als Rechtfertigung verweist er auf die radikalen Salafisten unter den syrischen Rebellen. „Libyen und Tunesien leiden unter diesen Gruppen“, sagte der 52-Jährige in seiner Ansprache. „Diese Krankheit ist auf dem Weg in den Libanon, und wenn wir sie nicht bekämpfen, dann kommen sie.“ Ganz unrecht hat Nasrallah damit nicht. Die syrische Rebellen der Dschabhat al-Nusra, die zu al-Qaida im Irak gehören, hatten bei ihrer Gründung vor einem Jahr angekündigt, Syrien sei nur der erste Schritt. Danach wolle man nach Jerusalem und Beirut. Die Büchse der Pandora ist geöffnet. Die Spirale der Gewalt wird sich weiterdrehen und kann in einem Krieg zwischen Sunniten und Schiiten enden.