Doch Präsident Barack Obama und Herausforderer Mitt Romney können sich keine lange Pause in dieser entscheidenden Phase gönnen.

Washington. Supersturm "Sandy" hat den Wahlkampf in den USA vorübergehend zum Erliegen gebracht, und beide Kandidaten gaben vor, damit sehr zufrieden zu sein. "Ich bin in dieser Situation nicht besorgt über die Auswirkungen auf die Wahlen. Ich bin besorgt über die Auswirkungen auf die Familien und ich bin besorgt über die Auswirkungen auf unsere Hilfskräfte. Die Wahl wird sich nächste Woche schon um sich selbst kümmern", versicherte Präsident Barack Obama, als er nach möglichen Konsequenzen der Naturkatastrophe für den 6. November gefragt wurde. Ungefähr zur selben Zeit mochte auch Mitt Romney nicht über die Niederungen des Wahlkampfes diskutieren. Beim Besuch einer Highschool in Avon Lake in Ohio wies der Herausforderer auf die Möglichkeit der frühen Stimmabgabe hin und sagte dann: "Ich möchte daran erinnern, dass unsere Herzen und Gebete bei den Menschen im Zielgebiet des Sturmes sind." Der Republikaner fügte hinzu: "Und darum, wenn Sie in der Lage sind, etwas für das Rote Kreuz zu spenden, gehen Sie online und machen Sie das."

Die Wahrheit sieht anders aus. Obwohl Obama und Romney alle Wahlkampftermine für gestern absagten, wird in beiden Lagern derzeit über nichts so intensiv nachgedacht wie darüber, wie die Kandidaten angemessen auf "Sandy" reagieren können - ohne den Eindruck zu erwecken, ungerührt ihre bisherige Strategie fortzusetzen oder das Schicksal der Betroffenen politisch zu instrumentalisieren. Obama wie Romney liegen in den Umfragen weiterhin dicht an dicht. Das gilt auch für die meisten noch unentschlossenen Staaten, darunter vor allem Ohio. Alle Erfahrung lehrt, dass der Weg ins Weiße Haus zwingend über diesen Staat führt. Auf der Zielgeraden abzustoppen, ist darum für beide Kandidaten inakzeptabel. Die Wahlkampfpause verschafft auf den ersten Blick dem Präsidenten einen klaren Vorteil: Nur Stunden nachdem sich der Wahlkämpfer Obama aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hatte, tauchte er als Oberbefehlshaber der Streitkräfte auf allen Fernsehkanälen auf, um der Nation zu erklären, wie mit der Herausforderung umzugehen sei - und dass der Wahlkampf keine Priorität mehr habe. Romney hingegen war vorübergehend zur Passivität verurteilt. Auf den zweiten Blick kann "Sandy" aber auch gefährlich für Obama werden. Zwar hat der Präsident Stillosigkeiten vermieden wie Vorgänger George W. Bush, der im August 2005 nach den Verheerungen des Hurrikans "Katrina" in New Orleans zu spät vom Urlaub in Texas nach Washington flog und erst danach das Katastrophengebiet besuchte. Aber obwohl die Zeitspanne kurz ist zwischen "Sandys" Wüten und dem 6. November, könnte es zu Vorwürfen kommen, das Krisenmanagement des Weißen Hauses sei nicht angemessen gewesen - entweder im Vorfeld des Sturms oder anschließend. Derartige Kritik wurde nach "Katrina" an Bush laut, und sie war in Teilen berechtigt.

Zudem ist für Obamas Wahlsieg nächste Woche eine hohe Wahlbeteiligung ausgesprochen wichtig. Die Vorfreude und damit die Bereitschaft, die Stimme abzugeben, ist im Lager der Republikaner derzeit höher als bei den Demokraten. Die Wahlen könnten wegen einer Katastrophe wie "Sandy" auch verschoben werden - theoretisch. Aber es wäre eine Premiere und zudem politisch wie juristisch eine Herausforderung. Nie zuvor wichen die Vereinigten Staaten vom "U.S. Code of Law" ab, ihrem Bundesrecht, in dessen Kapitel 3 im ersten Paragrafen des ersten Absatzes der Kongress 1845 verfügte: "Die Wahlleute des Präsidenten und Vizepräsidenten sollen in jedem Staat gewählt werden am Dienstag nach dem ersten Montag im November, in jedem vierten Jahr nach der Wahl eines Präsidenten und Vizepräsidenten." Weder der amerikanische Bürgerkrieg noch die beiden Weltkriege haben je eine Präsidentenwahl verschoben. Nur auf kommunaler Ebene gab es einzelne Ausnahmen. Sollte hingegen der Termin der Präsidentenwahl geändert werden, müsste die Neuansetzung auf der Ebene der Bundesstaaten erfolgen, die sich wiederum zuvor einigen müssten über das Ob und das Wann.

Aber während beispielsweise die Verfassung des (von "Sandy" stark getroffenen) Maryland dem Gouverneur das Recht gibt, im Falle eines Notstandes Wahltermine zu verschieben, regeln andere Bundesstaaten eine solche Situation gar nicht - obwohl Bundesgerichte die grundsätzliche Möglichkeit von Neuterminierungen bestätigt haben. Immerhin wurde im Vorfeld der Präsidentenwahl 2004 eine kurze Diskussion über die Möglichkeit einer Verschiebung geführt, weil Gerüchte durch Washington geisterten, Terroristen bereiteten einen Anschlag auf die USA vor. Doch das Repräsentantenhaus wollte eine solche Einflussnahme nicht zulassen und verabschiedete eine Resolution, laut der "terroristische Aktionen niemals dazu führen werden, den Termin einer Präsidentenwahl zu verschieben, und dass keine Person oder Behörde die Kompetenz erhalten soll, den Termin der Präsidentenwahl zu verschieben". Auch der damalige Senator und heutige Vizepräsident Joe Biden lehnte die Idee einer Verschiebung entschieden ab und argumentierte im Sender ABC, es sei die "schlechteste Idee der Welt", schon vor einem eventuellen Anschlag "einzugestehen, dass wir denken, wir werden angegriffen, bevor etwas passiert".

Mit einer Naturkatastrophe wäre eine Wahlverschiebung noch schwieriger zu begründen als mit einem Krieg oder einem (bereits ausgeführten) Terrorschlag. Zwar haben im Zusammenhang mit "Sandy" acht Bundesstaaten den Ausnahmezustand erklärt. Aber in einem so großen Land wie den USA gibt es, zugespitzt formuliert, fast immer einzelne Regionen, in denen Waldbrände, Schneestürme, Dürren, Hochwasser oder Tornados wüten. Würde jetzt beispielsweise argumentiert, dass sich etliche der rund 60 Millionen von "Sandy" betroffenen Bürger wegen einer regional möglicherweise noch viele Tage ausfallenden Elektrizitätsversorgung nicht über Fernsehen oder Internet über die Wahl informieren könnten, wäre dies ein Präzedenzfall für zukünftige Durchgänge. Immer wieder wäre die Versuchung groß für einen in den Umfragen zurückliegenden Kandidaten, der sich im Prozess des Aufholens wähnt, unter Verweis auf eine Naturkatastrophe oder einen sonstigen Ausnahmezustand auf eine Wahlverschiebung zu dringen. Darum wird es bei dem Wahltermin am kommenden Dienstag bleiben.