Seit Beginn der Waffenruhe sei mindestens 220 Mal gegen die Vereinbarung verstoßen worden, berichten Aktivisten. Luftangriffe nahe Damaskus.

Beirut/Istanbul. Trotz Waffenruhe geht das Blutvergießen in Syrien auch während des islamischen Opferfestes weiter. Am Sonnabend, dem zweiten Tag der religiösen Feierlichkeiten, hätten die Streitkräfte von Präsident Baschar al-Assad Wohngebiete in den Städten Deir al-Sor und Aleppo beschossen, sagten Aufständische. Landesweit hätten sich Rebellen und Regierungstruppen Kämpfe geliefert. Bewohner von Damaskus veröffentlichten zudem Videoaufnahmen, die Kampfflugzeuge beim Bombardement von Vororten der Hauptstadt zeigen. Bei dem Angriff auf Arbeen seien acht Menschen getötet und zahlreiche weitere verwundet worden, berichtet die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte. Aktivisten sprachen von 220 Verstößen gegen die Waffenruhe seit Freitag.

„Ich kann keinen Unterschied zur Zeit vor der Waffenruhe erkennen“, sagte der Oppositionelle Mohammed Dumani. Die syrische Armee erklärte, sie habe auf Angriffe von Aufständischen reagiert. Terroristen hätten Militärposten angegriffen und eine Patrouille der Militärpolizei in Aleppo beschossen.

Die vom internationalen Sondergesandten Lakhdar Brahimi für die Dauer des islamischen Opferfestes vereinbarte Feuerpause sollte am Freitag in Kraft treten. Die Gewalt schien an diesem Tag auch zunächst abzuebben, doch dann erschütterte ein schwerer Bombenanschlag die Hauptstadt Damaskus. Fünf Menschen starben. Nach Angaben der Menschenrechtsbeobachter wurden am Freitag insgesamt 150 Menschen getötet. Im Laufe des Freitag kam es bereits zu immer mehr Gefechten, und am Sonnabend stellte die neue Gewalt die Waffenruhe immer mehr infrage.

Am Sonnabend waren Zeugen zufolge auch nahe der syrischen Stadt Haram an der Grenze zur Türkei wieder Maschinengewehre und Granatwerfer zu hören. Oppositionelle aus Aleppo berichteten von stundenlangen bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Rebellen und Kurden. Auslöser soll der Versuch von Regime-Gegnern gewesen sein, in den kurdisch-christlichen Stadtteil Aschrafijeh einzudringen. Damit hätten sie gegen eine Vereinbarung mit den Kurden und den Christen der Stadt verstoßen, die sich bislang aus den Gefechten herausgehalten haben. Den Berichten zufolge kamen 19 Rebellen und 10 Kurden ums Leben.

Die Kurden werfen vor allem der radikal-islamischen Al-Nusra-Front vor, den Bürgerkrieg nun auch in die neutralen Bezirke tragen zu wollen. Kurden und Christen gehören zu den Minderheiten in Syrien. Nur wenige Christen stehen auf Seiten der Opposition. Unter den Kurden gibt es Anhänger wie Gegner des Regimes.

Die syrischen Menschenrechtsbeobachter berichteten ferner von einer heftigen Explosion in der östlichen Provinz Deir al-Sor. Dabei seien mindestens fünf Menschen getötet worden. „Keine Seite scheint bereit zu sein, mit den Kämpfen aufzuhören“, kommentierte der Chef der Gruppe in London, Rami Abdel Rahman. Es sehe so aus, als ob die Waffenruhe scheitern werde, sagte er.

In der südlichen Provinz Daraa töteten Heckenschützen den Angaben zufolge einen Mann und ein Kind. Aktivisten meldeten auch Kämpfe im Großraum Damaskus sowie in Idlib, in der Nähe der türkischen Grenze. Dort versuchten am Freitag unter anderem Anhänger der Al-Nusra-Front einen Militärstützpunkt zu stürmen. Die dem Terrornetz al-Qaida nahestehenden Islamisten hatten schon vor einigen Tagen verkündet, sie ignorierten die Waffenruhe.

Die syrischen Streitkräfte hatten am Donnerstag der von Brahimi vorgeschlagenen Feuerpause zugestimmt, sich aber vorbehalten, auf Verstöße zu reagieren. Die bewaffnete Opposition hatte sich schon vorher einverstanden erklärt, über die Feiertage die Kämpfe einzustellen, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass sich auch die Armee daran hält.

Beobachter betrachteten die Waffenruhe von Anfang an skeptisch. Erst im April war ein Versuch gescheitert, die Gewalt zu beenden. Damals hatte Brahimis Vorgänger Kofi Annan eine Waffenruhe ausgehandelt, die jedoch sofort wieder gebrochen wurde. Der seit März 2011 andauernde Konflikt hat inzwischen mehr als 30.000 Menschen das Leben gekostet.