Neben der Türkei macht sich die Gewalt auch im Libanon und im Irak bemerkbar. Assads Truppen gehen weiter gegen Aufständische vor

Beirut. Der Vergeltungsschlag der Türkei gegen Syrien hat einmal mehr verdeutlicht, wie schnell der syrische Bürgerkrieg die Nachbarländer erfassen und eine ohnehin unruhige Region destabilisieren kann. Zwar sendet die türkische Regierung am Freitag auch Friedenssignale aus. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan versicherte, sein Land wolle keinen Krieg.

Der Weltsicherheitsrat verurteilte den Angriff auf die Türkei mit fünf Toten scharf und forderte von beiden Seiten Zurückhaltung. Aber die Führung in Damaskus gab sich ihrerseits keine Mühe, die Krise zu entschärfen. Eine Entschuldigung lehnte sie ab. Mehr noch: Am Freitagabend schlug erneut eine Mörsergranate aus Syrien auf türkischem Gebiet ein. Die türkischen Streitkräfte erwiderten das Feuer. An der Grenze beider Länder herrscht weiter Hochspannung.

Während des seit nunmehr 18 Monaten andauernden Syrien-Konflikts haben als Folge der Gewalt Spannungen zwischen unterschiedlichen Glaubensgemeinschaften im Libanon und im Irak zugenommen. Auch an der lange Zeit ruhigen syrischen Grenze zu Israel ist die Lage angespannt. Und in der Türkei hat die Gewalt in Syrien kurdische Separatisten ermutigt.

"Es gibt kein einziges Land an der Grenze zu Syrien, von dem wir ehrlich sagen können, dass es nicht einer realistischen Bedrohung für die innere Stabilität und nationale Sicherheit (durch den Konflikt) gegenübersteht", sagt Aram Nerguizian von der Denkfabrik Center for Strategic and International Studies in Washington.

Der Syrien-Konflikt war von Anfang an auch über die Grenzen des Landes hinweg zu spüren. So sind seit Beginn des Aufstands gegen das Regime von Präsident Baschar al-Assad im März 2011 Hunderttausende Syrer vor der Gewalt in die Nachbarländer Jordanien, Türkei, Libanon und den Irak geflohen. Mörsergranaten und verirrte Geschosse schlugen mit teilweise tödlichen Folgen auf türkischem, jordanischem und libanesischem Gebiet, aber auch auf den von Israel kontrollierten Golanhöhen ein.

Im Gegensatz zur Türkei haben andere Nachbarländer Syriens Zurückhaltung an den Tag gelegt. Sie wollen damit auch verhindern, dass sich Spannungen zwischen Glaubensgruppen im eigenen Land zuspitzen. Sowohl der Irak als auch der Libanon haben eine ähnliche Bevölkerungsstruktur wie in Syrien, wo sunnitische Muslime den Aufstand gegen die von der alawitischen Minderheit dominierte Regierung anführen. Seit Mai kommt es im Libanon immer wieder zu Straßenschlachten zwischen Anhängern und Gegnern der Assad-Regierung. Die Gewalt in der von Sunniten geprägten Hafenstadt Tripoli kostete bislang mehr als zwei Dutzend Menschen das Leben. Zudem wird vermutet, dass die dem Assad-Regime nahestehende und im Libanon aktive Hisbollah-Miliz Kämpfer zur Unterstützung des syrischen Regimes ins Nachbarland entsendet. Dennoch glaube er nicht, dass "irgendjemand im Libanon - unter den wichtigen politischen Führern, den wichtigen Splitterparteien - einen sektiererischen Krieg unterstützen will", sagt Michael Young, Redakteur der libanesischen Zeitung "Daily Star".

Die geschwächte Regierung des Landes könnte nach Angaben von Beobachtern einem langwierigen Konflikt im syrischen Nachbarland womöglich nicht standhalten. "Die Krise untergräbt die Belastbarkeit des (libanesischen) Staates", meint Emile Hokayam vom Internationalen Institut für Strategische Studien in London. "Kleine sicherheitsrelevante Zwischenfälle könnten nur aufgrund schlechten Managements eskalieren."

Im Irak hat der syrische Bürgerkrieg die von Schiiten dominierte Regierung vor einen schwierigen Balanceakt gestellt. Im vergangenen Monat geriet Ministerpräsident Nuri al-Maliki unter Druck aus Washington, den irakischen Luftraum für iranische Flugzeuge zu sperren, die mutmaßliche Waffenlieferungen für Syrien enthielten.

Unterdessen hat die Kampflust der Sunniten in Syrien dazu beigetragen, im Irak einen neuen sunnitischen Aufstand zu entfachen. Sollte Assad gestürzt werden und sich Syrien einer sunnitischen Koalition in der Region anschließen, könnte sich die irakische Regierung womöglich um noch engere Verbindungen zum Iran bemühen.

In der Türkei ist die Unterstützung der Regierung für die Rebellen im Kampf gegen den syrischen Präsidenten mit einem deutlichen Anstieg von Angriffen kurdischer Separatisten im Südosten des Landes kollidiert. Nachdem sich Ankara für die Einrichtung international geschützter Sicherheitszonen in Syrien ausgesprochen hatte, hatten sich im Sommer syrische Regierungsgruppen aus mehreren kurdischen Ortschaften an der Grenze zur Türkei zurückgezogen. Dadurch erhielten die Kurden einerseits mehr Autonomie, andererseits bildeten sie eine Pufferzone zwischen Syrien und der Türkei. Assad habe der türkischen Regierung zu verstehen gegeben: "Ihr könnt (in Syrien) intervenieren, aber zuerst müsst ihr die (kurdische Arbeiterpartei) PKK auf dem Weg dorthin bekämpfen", sagt Soner Cagaptay, ein türkischer Experte am Washingtoner Institut für Nahostpolitik.

Nerguizian, der Analyst aus Washington, glaubt, dass der Syrien-Konflikt drastische Veränderungen in Gang gesetzt hat, die die Region umgestalten werden. Das Resultat werde in "keiner Weise wie die Struktur aussehen, die wir in den vergangenen Jahrzehnten, seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, gesehen haben."

In Syrien bombardierte die Armee Assads unterdessen weiter die Stadt Homs im Zentrum des Landes sowie Aleppo im Norden. Die Streitkräfte griffen mit Kampfflugzeugen und Panzern an und nahmen Viertel mit Mörsern unter Beschuss. Es war das heftigste Bombardement von Homs in den vergangenen fünf Monaten. Informationen zu Schäden und Opfern lagen zunächst nicht vor. Seit Beginn der Aufstände gegen Präsident Baschar al-Assad im März 2011 wurden nach Einschätzung von Aktivisten mehr als 30 000 Menschen getötet, Hunderttausende sind auf der Flucht.

Für die Bundesregierung hat deren Versorgung vor Ort und in den angrenzenden Nachbarländern weiterhin "absolute Priorität". Dies entspreche auch, "nach allem, was wir wissen", den Bedürfnissen der Betroffenen, sagte ein Sprecher des Außenministeriums am Freitag in Berlin. Die meisten Flüchtlinge wollten bei einem Ende der Kämpfe schnell in ihre Heimat zurückkehren können.

Regierungssprecher Steffen Seibert ergänzte, gleichwohl sei Deutschland zur Aufnahme von Flüchtlingen grundsätzlich bereit. Dies müsse aber auf europäischer Ebene koordiniert werden. Seibert betonte, die Bundesrepublik gehöre mit bislang 23,3 Millionen Euro zu den größten Geldgebern für die humanitäre Hilfe in der Region.