Fast alle Atommeiler in Europa haben Sicherheitslücken. Das deckt ein Test der EU auf. Betreiber und Verbraucher rechnen mit hohen Kosten.

Brüssel. Bei der Sicherheit müssen Europas Kernkraftwerke nachlegen - geschlossen werden müssen sie aber nicht. Das ist die Bilanz eines europaweiten Stresstests, der für fast alle Kernkraftwerke Nachrüstungen empfiehlt. Auch für AKWs in Norddeutschland sehen die EU-Experten Handlungsbedarf. Die Betreiber sollten in den Anlagen Erdbebenwarnsysteme installieren, schreiben die Fachleute in dem in Brüssel vorgelegten Bericht.

Die Autoren bemängeln sechs Anlagen in Niedersachsen und Schleswig-Holstein, von denen nur noch Brokdorf, Emsland und Grohnde aktiv sind. Auf dem Prüfstand standen in Deutschland insgesamt zwölf Standorte mit 17 Reaktoren. Betreiber und Experten verweisen darauf, dass kaum noch Anlagen in erdbebengefährdeten Gebieten in Deutschland betrieben werden. So wurde etwa das umstrittene hessische Atomkraftwerk Biblis im erdbebengefährdeten Rheingraben vom Netz genommen. Der EU-Bericht bemängelt zudem, dass die deutschen Betreiber die internationalen Leitlinien für schwere Unfälle bei allen Anlagen nicht umgesetzt hätten. Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) versprach in Wien, Schlussfolgerungen aus dem Bericht zu ziehen. Auf die Atomanlagenbetreiber in der gesamten EU würden für alle aktiven Meiler Kosten von zehn bis 25 Milliarden Euro zukommen. EU-Energiekommissar Günther Oettinger sagte: "Ich habe mir auch vorgenommen, dann den Dialog mit der deutschen Regierung zu suchen, was das dann an konkreten Kosten bedeuten kann." Um auch für Schadensfälle finanziell gewappnet zu sein, sollen sich Betreiber wie E.on oder RWE versichern - was ebenfalls auf die Strompreise durchschlagen könnte.

Altmaier sagte, besonderes Augenmerk lege er auf die angrenzenden Länder. Es sei "wenig vermittelbar, wenn Deutschland jetzt noch stark nachrüstet und Frankreich nicht, obwohl die Atomkraftwerke dort noch 20 Jahre in Betrieb sind." Frankreich betreibt 40 Prozent aller AKWs in Europa. Die Fachleute kritisieren für quasi alle französischen Standorte die Lagerung von Unfallausrüstung und sehen Mängel bei der Prüfung von Erdbeben- und Flutgefahren. Das gilt auch für Frankreichs ältestes Atomkraftwerk Fessenheim direkt am Rhein, das bis Ende 2016 stillgelegt wird.

In Deutschlands westlichem Nachbarland Niederlande weist das AKW in Borssele vier Kritikpunkte von der Umsetzung der Leitlinien bis zur Lagerung auf. Wenig zu beanstanden hatten die Experten bei den belgischen Reaktoren in Doel und Tihange. Mehr Anlass zur Kritik gab es in Tschechien und Bulgarien, wo bei allen geprüften AKWs Schutzvorrichtungen gegen Gasexplosionen nach schweren Unfällen fehlen. Das gilt auch für Rumänien, die Slowakei und Slowenien. Diesen Punkt bemängelt die EU-Kommission auch in Schweden, Spanien und Großbritannien. Besonders schwerwiegende Mängel belegt der EU-Report für zwei Werke - Olkiluoto in Finnland und Forsmark in Schweden -, wo die Betreiber weniger als eine Stunde Zeit haben, um nach einem Stromausfall und/oder einem Ausfall der Kühlsysteme die Sicherheitssysteme wieder hochzufahren.

Innerhalb der EU setzen derzeit 14 von 27 Staaten auf Kernenergie. Als Reaktion auf das Unglück von Fukushima hatte die EU alle 145 Reaktoren (aktive und stillgelegte) auf ihre Sicherheit hin geprüft. In Deutschland waren es zwölf Anlagen mit 17 Reaktoren: Biblis A und B, Brokdorf, Brunsbüttel, Emsland, Grafenrheinfeld, Grohnde, Gundremmingen B und C, Isar I und II, Krümmel, Neckarwestheim I und II, Philippsburg I und II, Unterweser. 2011 hatte die Bundesregierung die Stilllegung von acht der 17 AKWs verfügt. Bis 2022 soll der Atomausstieg komplett sein.