In dem 90-minütigen Schlagabtausch leistete sich der Republikaner keine nennenswerten Patzer. Stattdessen wirkte er überzeugender als Obama.

Denver. Nach dem überraschenden Triumph des republikanischen Herausforderers Mitt Romney beim ersten TV-Duell im US-Präsidentschaftswahlkampf hat Amtsinhaber Barack Obama sofort schärfere Töne angeschlagen. Auf einer Kundgebung in Denver stellte er am Donnerstag offen Romneys Aufrichtigkeit infrage. „Wenn Sie Präsident werden wollen, schulden sie dem amerikanischen Volk die Wahrheit“, sagte Obama an die Adresse Romneys. Der Republikaner hatte am Vorabend die erste Fernsehdebatte mit einem kämpferischen und selbstsicheren Auftritt überraschend für sich entschieden.

Er habe bei dem Duell „diesen sehr energischen Typen, der behauptet hat, Mitt Romney zu sein“, getroffen, sagte Obama. Es könne sich aber nicht um seinen republikanischen Rivalen gehandelt haben, da sein Gesprächspartner Romneys Positionen zu den Themen Steuern, Bildung und Outsourcing von Arbeitsplätzen falsch dargestellt habe. Romney „will keine Rechenschaft ablegen, (...) weil er genau weiß, dass wir das, was er verkauft, nicht haben wollen.“ Obamas Berater hatten nach Fernsehduell „Anpassungen“ im Wahlkampf angekündigt.

In dem 90-minütigen Schlagabtausch einen Monat vor der Wahl leistete sich der Republikaner anders als von vielen Beobachtern erwartet keine nennenswerten Patzer. Stattdessen wirkte er nach Einschätzung vieler Zuschauer und Analysten überzeugender als Obama. Der demokratische Amtsinhaber machte hingegen einen defensiven und streckenweise gar lustlosen Eindruck.

Nach einer Umfrage des amerikanischen Fernsehsenders CNN sahen fast zwei Drittel der befragten Zuschauer den Herausforderer als Sieger der Debatte. Nur 25 Prozent hielten den Präsidenten für besser. Und sogar mehrere demokratische Analysten gaben nach dem Rededuell Romney mehr Punkte.

Romney kündigt Erleichterungen für Mittelschicht an

Inhaltlich ging es vor allem um Steuern, das Haushaltsdefizit und die Arbeitslosigkeit. Zu Beginn der Debatte am Mittwochabend (Ortszeit) in Denver sprach sich Obama, der als erster das Wort ergreifen durfte, für weitere Investitionen in Ausbildung und neue Energiequellen aus. Die von Romney geplanten Steuersenkungen seien kein tragbarer Weg aus der Wirtschaftskrise. Amerika gehe es am besten, wenn es der Mittelschicht gut gehe, sagte Obama. Romney entgegnete, er wolle gerade für die Mittelschicht Erleichterungen durchsetzen.

„Der Status Quo wird nicht weiterhelfen“, erklärte Romney. Die Politik der Regierung der vergangenen Jahre habe die Familien der Mittelschicht erdrückt. Obama führte dagegen an, er habe von seinem republikanischen Vorgänger George W. Bush eine desolate Wirtschaft übernommen und deren Zusammenbruch verhindert. Zudem warf er seinem Herausforderer vor, die wirtschaftspolitische Maßnahmen, die vier Jahre zuvor zu dem verheerenden Konjunkturabschwung geführt hätten, verdoppeln zu wollen.

Auseinandersetzung um Steuersenkungen

Romney erklärte, er wolle die Regulierungen, die nach der Finanzkrise 2008 verabschiedet wurden, zurücknehmen. Obama fragte daraufhin: „Glaubt jemand, dass es an der Wall Street zu viel Regulierung und Kontrolle gibt?“ Wenn das der Fall sei, „dann ist Gouverneur Romney Ihr Kandidat“. Der Plan seines Konkurrenten, die Steuern pauschal um 20 Prozent zu senken, werde fünf Billionen Dollar kosten und in erster Linie den Wohlhabenden zugutekommen.

Im Streit um die beste Strategie zur Schaffung neuer Arbeitsplätze in den USA forderte der republikanische Präsidentschaftskandidat einen Rückzug des Staates. Die Regierung solle den amerikanischen Unternehmen aus dem Weg gehen, sagte Romney. Sein demokratischer Kontrahent verwies auf die Fortschritte, die mit seinen Methoden in den vergangenen Jahren bereits erreicht worden seien – etwa bei der Rettung der Automobilindustrie in Detroit und bei der Wiederbelebung des Immobilienmarktes.

Während der gesamten TV-Debatte konnte sich Romney mit seinem gelösten Auftritt einen Vorteil verschaffen. „Das macht Spaß, oder?“ fragte der Republikaner einmal. Hingegen räumten einige demokratische Strategen nach dem Duell ein, dass Obama unglücklich agiert und etliche Chancen verpasst habe, Romney anzugreifen. So erwähnte der Präsident mit keinem Wort die umstrittenen Äußerungen Romneys, wonach 47 Prozent der Amerikaner keine Einkommenssteuer zahlten und sich selbst für Opfer hielten, die auf staatliche Unterstützung angewiesen seien. Stattdessen wirkte Obama aus Sicht der Beobachter bisweilen oberlehrerhaft, während sich Romney aggressiv gab und seinen Kontrahenten sowie Moderator Jim Lehrer mehrmals unterbrach.

Zwei weitere Fernsehdebatten folgen

Das Aufeinandertreffen leitete die heiße Phase im Wahlkampf ein - zwei weitere Fernsehdebatten sind für den 16. und 22. Oktober geplant. Für Romney ging es darum, im Rennen um das Weiße Haus wieder aufzuholen. Jüngsten Umfragen zufolge hat Obama in dem knappen Duell die Nase wieder vorn. Doch mit seinem Auftritt bei der Debatte machte Romney den Wahlkampf wieder spannend.

Am Donnerstag erklärte der Republikaner, die Wahl werde eine „hart umkämpfte Schlacht“ werden. Obama und er hätten bei der TV-Debatte „zwei sehr unterschiedliche Visionen für Amerika“ präsentiert, sagte Romney bei einem unangekündigten Auftritt in Denver.