Mittwoch treffen sich Präsident und Herausforderer zum ersten von drei TV-Duellen. Letzte Chance für den zurückliegenden Republikaner?

Washington. Wenn Mitt Romney am 3. Oktober in Denver mit dem Titelverteidiger Barack Obama vor 40 Millionen Zuschauern in den Ring steigt, wird er rhetorisch austrainiert sein. Und taktisch beweglich für einen Nahkampf, der Schach und Boxen verbindet. Nur zu punkten oder anständig über die Runden zu kommen würde für den Herausforderer, der in allen wichtigen Umfragen zurückgefallen ist, nicht ausreichen. Romney muss sich in der ersten von drei TV-Debatten glänzend schlagen, er muss Präsident Obama überwältigen. Über viele Wochen hat der Republikaner sich mit einem Sparringspartner auf jede Finte und jede Körpertäuschung vorbereitet, Senator Rob Portmann aus Ohio spielte Obama. Er erwarte, dass der Präsident "Unwahrheiten verbreite", sagte Romney, und er werde jeweils entscheiden müssen, ob er seine Redezeit darauf verwende, Obama der Lüge zu überführen oder für sich und sein Programm zu werben.

Selten waren sich politische Beobachter beider Lager im Wahlkampf so einig wie vor diesem TV-Duell: Es ist Mitt Romneys größte und letzte Chance, einen Trend umzukehren, der den Republikaner seit den Parteitagen Ende August in die Defensive drängt. Eine an Selbstverstümmlung grenzende Serie von Patzern lässt Romney angeschlagen und konfus aussehen.

Im Weißen Haus kann das Team Obama sein Glück kaum fassen. Doch den Debattenredner Romney nehmen sie ernst: "Er hat den Vorteil, 20 solcher Debatten im Vorwahlkampf absolviert zu haben", rühmt ihn Robert Gibbs, ein Vertrauter des Präsidenten. Ein vergiftetes Lob, um den Erwartungsdruck weiter zu erhöhen: "Romney prahlte damit, in 16 dieser Debatten gesiegt zu haben." Das ist keine Prahlerei, sondern das Urteil von Publikum wie Juroren. Unter kuriosen, radikalen oder unfähigen Mitbewerbern ragte Romney mit Schlagfertigkeit, Ironie und gelassener Körpersprache hervor wie ein Staatsmann unter Schulsprechern. Newt Gingrich, bei den Vorwahlen einer seiner Widersacher, nennt die Debatte am 3. Oktober "das wichtigste Einzelereignis in Romneys politischer Karriere".

Die Medien schreiben dramatisch von "Do-or-die", schaff es oder stirb. Schafft es Comeback-Mitt? Man könnte andere Fragen stellen. Ist es nicht politikfeindlich und ein Irrsinn, dass zwei Stunden auf einer Bühne für den Republikaner mehr bedeuten sollen als sechs Jahre nahezu ununterbrochener Wahlkampf? Amerikas Wahlforscher sind sich nicht einmal einig, ob Sieg oder Niederlage bei TV-Duellen messbare Folgen haben. Es ist der Mythos, der Tonnen wiegt, es sind austrocknende Spendenströme und der Nachrufchor der Medien, die "Verlierer" abschreiben. Man kennt die Szenen und Sprüche, die angeblich Bewerber den Kopf kosteten - oder, seltener, den Sieg brachten: Richard Nixons schweißglänzendes Gesicht, wie ein Ganove beim Verhör, neben dem jugendlich aristokratischen John F. Kennedy 1960 (Radiohörer glaubten, Nixon habe gesiegt); Gerald Fords Sekundenahnungslosigkeit 1976: "Es gibt keine sowjetische Dominanz in Osteuropa!"; Ronald Reagans Klage über Jimmy Carters Verteidigungsreden: "Jetzt fängt er schon wieder an!"; unvergesslich das arrogante Aufstöhnen Al Gores 2000, der George W. Bush einfach nur nervig fand. Gore sei auf einem Koffein-High gewesen, nachdem er fünf bis sechs Diet-Cokes getrunken hatte, erklärte ein Mitarbeiter: "Er hätte ein Bier trinken sollen. Das entspannte ihn immer."

Für alle Debatten gilt, dass die Inhalte des Streitgesprächs sofort und spurlos aus dem Gedächtnis verschwinden. Übrig blieben ein Spruch, eine Geste, ein Eindruck, der Anhänger wie Gegner des Kandidaten bestätigte. Während Mitt Romney Debatten (angeblich schon seit Jugendzeiten in der Familie) stets genossen hat und darin geübt ist, so sein Vertrauter Stuart Stevens, ein Argument dialektisch zu durchleuchten, gilt der begnadete Redner und Autor Barack Obama nicht als mitreißender Diskutant. Der Unterschied zwischen den Talenten liegt auf der Hand; Obama, der Intellektuelle und volksferne Politiker, denkt zu komplex, um mit Einzeilern und coolen Sprüchen zu punkten, und die Würde seines Amtes macht es nicht leichter. Vor Sarkasmus muss er sich hüten, noch mehr vor offenem Zorn: nichts verschreckt weiße Wähler mit verdrängtem rassistischen Ressentiment mehr als ein "angry black man", ein zorniger schwarzer Mann. Die Republikaner streuen bei jeder Gelegenheit, der Präsident lüge notorisch und werde es auch in der Debatte tun. Karl Rove, einst Chefberater George W. Bushs, warnte jedoch: "Romney muss auf falsche Darstellungen des Präsidenten hinweisen, aber er kann nicht die Rolle des obersten Wahrheitshüters spielen." Das sei auch nicht nötig, denn Obama könne gar nicht die Wahrheit sagen, notierte Rove, "da er seine Amtszeit nicht verteidigen kann und keine Agenda für die Zukunft besitzt, nur den Status quo: Kurs halten".

Es sollte für die Amerikaner beruhigend sein zu hören, dass ihr Präsident wegen seines ziemlich anstrengenden Hauptjobs weniger Zeit für sein Debatten-Sparring aufwendet. Aber auch Obama wird an diesem Wochenende mit seinem "Romney" - Senator John Kerry, 2004 knapp gescheiterter Präsidentschaftskandidat, mimt den Republikaner - in Klausur gehen. Kerry, der Außenpolitikexperte, gesteht Mühe, Romneys wechselnden Positionen zu folgen: "Er war wirklich auf allen Seiten, beim Thema Afghanistan und anderswo." Kerry vermisst bei Romney einen Kern konservativer Überzeugungen: "Das Video von dem Spendendinner hat gezeigt, wer er ist - der Investmentmanager von Bain Private-Equity, der kapiert, was er sagen muss, um das Geschäft abzuschließen, und das dann eben sagt."

Eben dieser Mann darf Mitt Romney am Mittwoch in Denver nicht sein, wenn er siegen und seine Chance für den 6. November wahren will.