Widersprüchliche Berichte von ehemaligen Mitgliedern der Elitetruppe Navy Seals erregen die USA und belasten den Präsidenten im Wahlkampf.

Hamburg. Mitten im Präsidentschaftswahlkampf werden die USA von einem Vorgang eingeholt, der als längst abgeschlossen galt: der Tötung von Al-Qaida-Chef Osama Bin Laden durch die Eliteeinheit Navy Seals in der pakistanischen Garnisonsstadt Abbottabad. In der Nacht zum 2. Mai 2011 waren 23 US-Soldaten mit zwei Hubschraubern in das festungsartige Anwesen Bin Ladens eingedrungen; kurze Zeit später war der Terrorfürst tot.

Doch was genau geschah in jenen Minuten? John Brennan, der Anti-Terrorchef des Weißen Hauses, hatte dem US-Magazin "Time" damals berichtet, Bin Laden und seine Getreuen hätten den Seals ein 40-minütiges erbittertes Feuergefecht geliefert. Auch eine Frau sei lieber kämpfend gestorben, als den Elitesoldaten die Gelegenheit zu geben, Bin Laden lebend zu fassen.

Dann erschien das Buch "Codewort Geronimo" des ehemaligen Navy Seal Chuck Pfarrer, der darin jeden einzelnen Augenblick des Dramas präzise zu dokumentieren schien. Danach wurde Bin Laden von den Seals in seinem Schlafzimmer überrascht und mit zwei Treffern in Kopf und Brust erschossen, als er nach seiner Kalaschnikow AKSU greifen wollte. Seine Frau Amal, die ihn verteidigte, wurde durch einen Streifschuss verletzt.

Chuck Pfarrers Buch, in dem er auch behauptete, nach dem Fall Saddam Husseins seien im Irak tatsächlich Massenvernichtungsmittel gefunden worden und in die Hand von al-Qaida gelangt, löste einen Sturm der Entrüstung im US-Militär, vor allem bei den Seals aus. Das bestätigte dem Abendblatt auch Howard Wasdin, ein ehemaliges Mitglied von Navy Seals Team Six. Die Einheit gilt als Elite in der Elite. Der hoch dekorierte Wasdin ist Autor des Bestsellers "Navy Seals Team Six", der sich bislang rund eine halbe Million mal verkaufte. "Chuck hat mit niemandem von dem Angriffsteam gesprochen", sagte Wasdin dem Abendblatt. Das habe auch der Kommandeur der US-Spezialeinheiten (USSOCOM), Admiral William McRaven, gesagt. "Chuck hat einfach drauflosgeraten".

Chuck Pfarrer sagte gegenüber dem Abendblatt, "Codewort Geronimo" beruhe auf Originalquellen. Eine Drohne des Typs RQ 170 "Sentinel" habe die ganze Kommandoaktion live ins Weiße Haus und in das CIA-Hauptquartier übertragen. Keiner der zahlreichen hochrangigen Anwesenden habe seine Schilderung bestritten. USSOCOM habe ihn zwar einen "Lügner" genannt. Doch die Nachrichtenagentur AP habe Admiral McRaven mit der Aussage zitiert, Pfarrers Buch könnte die Öffentlichkeit dazu verleiten, die Regierungsversion der Geschichte anzuzweifeln. Doch war Pfarrers Buch offenbar Anlass für den 36-jährigen Matt Bissonette, unter dem Pseudonym Mark Owen das Buch "No Easy Day" (Kein leichter Tag) zu schreiben. Demnach war Bissonette unmittelbar am Angriff in Abbottabad beteiligt. Sein Buch, das eigentlich am 11. September erscheinen sollte - dem Jahrestag des Terroraktes in den USA, den Bin Laden befohlen hatte -, aber aufgrund der großen Nachfrage schon eine Woche früher in verdoppelter Erstauflage von 400.000 Exemplaren herauskommt, sorgt für Furore in Amerika. Es ist jetzt schon die Nummer 1 der Bestellungen bei Amazon. Der Titel nimmt Bezug auf das Seals-Motto "Der einzige leichte Tag war gestern".

Bissonette schreibt, er sei der zweite Mann gewesen, der die Treppe zu den Wohnräumen von Osama Bin Laden hinaufgestürmt sei. Als sie fünf Stufen vor dem Treppenabsatz waren, habe der Terrorführer alarmiert seinen Kopf zur Tür hinausgestreckt. Dann habe er, Bissonette, zwei schallgedämpfte Schüsse gehört und Bin Laden sei verschwunden. Die US-Elitesoldaten hätten den Al-Qaida-Chef dann mit einem Einschussloch im Kopf hinter der Tür gefunden, beweint von zwei Frauen. Die Seals hätten den zuckenden Körper mit Schüssen durchsiebt. Bin Ladens Waffen, eine AK-47 und eine Makarow-Pistole, seien ungeladen gewesen. Weitere Schießereien habe es nicht gegeben.

Dies widerspricht der Regierungsdarstellung. Nach offizieller Version wurde Bin Ladens Leiche mit größtem Respekt behandelt, bevor man sie auf dem Flugzeugträger "USS Carl Vinson" im Arabischen Meer nach islamischem Ritus seebestattete. Bissonette schreibt hingegen, dass einer seiner Kameraden während des Rückflugs auf Bin Ladens blutiger Leiche gesessen habe.

Für Barack Obama, der sich die Ausschaltung Bin Ladens als politisches Verdienst anrechnet, kommt das Buch zur Unzeit. Bissonette berichtet darin auch, die Seals seien sich darüber im Klaren gewesen, dass Obama dafür gefeiert werden würde. Und mit der Tötung Bin Ladens habe man unfreiwillig Obamas Wiederwahl sichergestellt. Bissonette, dessen Identität vom US-Sender Fox News enttarnt wurde, wird inzwischen im Internet mit Morddrohungen von Islamisten überzogen.