Vor dem Besuch der Kanzlerin sendet Peking positive Signale. Deutsche Korrespondenten beklagen jedoch weiter chinesische Einschüchterung.

Hamburg/Peking. Sechsmal war Bundeskanzlerin Angela Merkel seit 2006 in China. Nicht immer stieß sie dabei auf großes Verständnis. Kommentatoren warnten nach ihrer Wahl 2005, dass das sozialistische China von der Ostdeutschen nur Negatives zu erwarten habe. Chinas ehemaliger Botschafter in Deutschland, Mei Zhaorong, machte sich 2007 zum Sprecher solcher Ängste. Nach Merkels Festvortrag vor der Akademie für Sozialwissenschaften setzte er sich über Protokollhöflichkeiten hinweg und stellte ihr die Frage, ob sie China als eine Art "vergrößerte DDR" betrachte. Das, beantwortete Merkel damals kühl, sei ein Gerücht. "Meine Kenntnis reicht aus, um zu wissen, dass Ihr Land heute einen Weg geht, der nichts zu tun hat, mit dem, was in der DDR stattfand."

Kritiker Mei hat inzwischen seinen Frieden mit der Kanzlerin geschlossen. Heute, so stelle er fest, verstehe sie China viel besser. "Sie hat ihre Wertevorstellungen - wir haben unsere." Es sei ihm nie darum gegangen, dass sie ihre Vorstellungen ändert, sondern nur, dass sie "unsere respektiert". Sie wisse, "wo bei uns die rote Linie liegt".

Der Kabinettsgipfel, der am Donnerstag beginnt, sei eine besondere Form intensiver Kooperation, wie China sie in Europa nur mit Deutschland vereinbart hat. Beide Seiten hätten eine umfassende bilaterale Zusammenarbeit zu planen, darunter den Umgang mit der auch China betreffenden europäischen Schuldenproblematik. Auf der Agenda stünden weitere außenpolitische Krisen wie die Lage in Syrien und dem Iran. China und Deutschland suchten heute nach "Gemeinsamkeiten und stellen ihre Differenzen beiseite".

Premier Wen Jiabao hatte das Verhältnis neu angeschoben und die Beziehungen zu Europa zu seiner Chefsache gemacht. Seinem Verhältnis zu Deutschland und besonders zu Angela Merkel hat er von Anfang an eine bewusst persönliche Note gegeben. "Zwischen beiden Politikern stimmt die Chemie", sagte eine Mitarbeiterin des Kanzleramts. Das will etwas heißen, denn Chinas Politiker sind meist auf Distanz bedacht.

Seit Anfang 2012 scheint Wen die Nähe zur Kanzlerin förmlich zu suchen. Im April etwa flog Wen nach Hannover, um mit Merkel die Messe zu eröffnen und anschließend VW in Wolfsburg zu besuchen. Auch nach dem jetzigen Pekinger Gipfel wollen beide nicht sofort Abschied nehmen. Am Freitag fahren sie im Hochgeschwindigkeitszug in die Nachbarstadt Tianjin, wo sie das Airbus-Werk besichtigen. Mit diesem Heimatausflug beschließt er den Reigen ungewöhnlicher Begegnungen zwischen beiden Regierungschefs innerhalb von sechs Jahren.

Am 15. September wird Wen 70 Jahre alt. Auf Chinas Wahl-Parteitag im Oktober müssen er und die gesamte Führung nach zehn Amtsjahren turnusgemäß abtreten. Wen wird sein Amt als Regierungschef im März an Li Kejiang übergeben. "So gesehen ist die jetzige Kabinettsrunde auch ein Abschied für Wen von seiner Gipfeldiplomatie mit Merkel", sagt ein Mitarbeiter im Planungsstab des Pekinger Außenministeriums. "Der Besuch mit ihr in seiner Heimatstadt Tianjin wird so zur besonderen Geste."

Wens Charmeoffensiven hielten die Kanzlerin nie davon ab, neben ihren politischen Gesprächen inoffiziell auch Vertreter der Zivilgesellschaft zu treffen, so wie 2007 den Dalai Lama. Als 2009 die Wirtschaftskrise auch in China ankam, verloren mehr als 20 Millionen Wanderarbeiter ihre Jobs.

Dieses Credo ist seither der Kitt im besonderen Verhältnis, das er zu Merkel aufbaute. Zwischen Wen und Merkel ging es seitdem aufwärts. Da gab Wen etwa in Xian ein Frühstück zu Merkels Geburtstag. Der Premier kam, ungewöhnlich für einen chinesischen Politiker, sogar zu einem informellen Arbeitsbesuch auf Schloss Meseberg.

Und nun gibt es gar die neu geschaffene Plattform der Deutsch-Chinesischen Regierungskonsultationen. Zur ersten Runde kamen beide Regierungschefs mit ihren Ministern Ende 2011 in Berlin zusammen.

Merkel will jetzt auch auf die erschwerten Arbeitsbedingungen deutscher Korrespondenten zu sprechen kommen. Zuvor hatten sich 26 deutsche Korrespondenten in einem offenen Brief an Merkel gewandt.

Der Brief der deutschen Korrespondenten an die Kanzlerin im Wortlaut hier.