Gericht spricht Frau eines Partei-Spitzenfunktionärs wegen Giftmordes schuldig. Ihr Mann ist politisch kaltgestellt.

Peking. Auf dem Umschlag ihres Bestsellers: "Wie ich einen Wirtschaftsprozess in den USA gewann" nannte sich die chinesische Staranwältin Gu Kailai einst "Horus Kailai" nach Horus, dem altägyptischen Kriegsgott und Beschützer der Kinder. 15 Jahre später stand sie nun als Bo-Gu Kailai in ihrem Heimatland als Angeklagte vor Gericht - und konnte den spektakulären Giftmordprozess nicht gewinnen. "Madame Bo" nützte dabei auch nicht, dass sie den Familiennamen ihres Mannes, des Politbüromitglieds Bo Xilai, vor ihren Namen gesetzt hatte. Wegen Giftmordes an dem britischen Geschäftsmann Neil Heywood wurde die 53-Jährige zur Todesstrafe mit zwei Jahren Aufschub verurteilt. Das ist eine Besonderheit im chinesischen Strafrecht, die lebenslange Haft bedeutet. Das Mittlere Volksgericht von Hefei sah es als erwiesen an, dass sie am Abend des 13. November 2011 den 41 Jahre alten Briten in einem Hotel in Chongqing zuerst betrunken gemacht und dann mit Rattengift umgebracht hatte.

Bo-Gu Kailai behauptete, sie habe ihren an britischen und US-Eliteschulen studierenden Sohn Bo Guagua vor Heywood schützen wollen. Der Brite, der einst ihrem Sohn das Studium ermöglicht hatte, habe nach einem Geschäftsstreit mit ihr gedroht, Bo Guagua zu schaden. Das Gericht hielt der Giftmörderin strafmildernd zugute, dass sie geständig und kooperativ gewesen sei und eine medizinische Leidensgeschichte und Depressionen hinter sich hatte. Das habe den Richtern erlaubt, nicht auf sofortige Hinrichtung zu entscheiden, dem vorgeschriebenen Strafmaß für vorsätzlichen Mord, hieß es.

Der Helfer und Mittäter von Bo-Gu Kailai, der Hausangestellte Zhang Xiaojun, wurde zu neun Jahren Haft verurteilt. Er habe nur Anweisungen ausgeführt, so das Gericht. Die Hauptangeklagte nahm das Urteil an. Sie verzichtete darauf, Berufung einzulegen. Im Schlusswort sagte sie: "Ich empfinde dieses Urteil als gerecht. Es verkörpert, dass das Gericht Recht und Gesetz und die Faktenlage würdigt und besonders den Wert des Lebens hochhält."

+++ Zahlen und Fakten über die Todesstrafe +++

+++ Noch 20 Staaten vollstrecken die Todesstrafe +++

Die Richter erledigten ihre Urteilsverkündung im Schnelldurchgang. Sie brauchten nur 20 Minuten. Das Tempo entsprach dem gesamten, offensichtlich mit den Angeklagten abgesprochenen und inszenierten Schauprozess. Das entschärfte Todesurteil war erwartet worden. In Chinas Internet wurde spekuliert, dass es der Führung unter Parteichef Hu Jintao ermöglicht, einen Schlussstrich unter den schwersten politischen Skandal seit 2002 zu ziehen. Beim Parteitag im Oktober endet turnusgemäß ihre zehnjährige Amtszeit. Die Stabilität der Nachfolgeregierung unter dem designierten Parteichef Xi Jinping würde daran gemessen, ob sie glatt von der Bühne geht - oder ob Chinas Führung sich wieder in Machtintrigen und Postengeschacher verstrickt.

Der bekannte Pekinger Anwalt Pu Zhiqiang sprach daher von einem "völlig klaren Fall eines unter der Führung der Partei gefällten Urteils". Der Zeitung "Die Welt" sagte er: "Sie verurteilen eine Frau und lassen andere außen vor." Damit könnten alle beteiligten Seiten leben. Dass die Richter nur Bo-Gu Kailai den Prozess machten, stehe im Widerspruch zu einem wirklich rechtmäßigen Verfahren. In den Fall seien viele verwickelt, die vor Gericht nicht einmal erwähnt wurden, "von Bo Xilai, seinem Polizeichef Wang Lijun bis zum Konzernboss Xu Ming".

Peking hatte den Gerichtshof in Anhuis Provinzhauptstadt Hefei, rund 1250 Kilometer vom Tatort Chongqing entfernt, mit Bedacht gewählt, um das Gericht frei von jeder Einflussnahme von Vertrauten der Angeklagten und ihres Mannes Bo Xilai zu halten. Dieser, ein Sohn des Altrevolutionärs Bo Yibo, der zum engsten Zirkel um Mao gehörte, hat als "roter Prinzling" und Volkstribun weiter großen Einfluss. Noch im März konnte sich Bo sogar Hoffnungen machen, beim 18. Parteitag in Chinas innere Führung aufzurücken. Seine Karriere hatte ihn vom Bürgermeister von Dalian zum Provinzgouverneur von Liaoning aufsteigen lassen. Später wurde er Handelsminister in Peking, dann Parteichef des Stadtstaates Chongqing. Doch einen Fall Bo Xilai gab es für das Gericht nicht. Nach Pekinger Sprachregelung ist er im Gewahrsam der ZK-Disziplin-Kontrollkommission. Beschuldigt wird er wegen "schwerer Verstöße gegen die Parteidisziplin". Sein Aufenthaltsort wird geheim gehalten. Vorerst ist Bo nur von seinen Parteiämtern suspendiert. Er wird noch als Genosse tituliert und ist nicht aus der Partei ausgestoßen. Erst nach Klärung der Vorwürfe entscheidet Pekings Führung, ob sie Bo in den Ruhestand schickt oder einem Strafgericht übergibt.

Am 15. März war Bo Xilai politisch entmachtet und gleichzeitig seine Frau verhaftet worden. Beim einzigen Prozesstag am 9. August, zu dem Bo Xilai nicht einmal als Zeuge vorgeladen wurde, brauchten die Richter nur sieben Stunden, um Hergang, Motiv und das Geständnis aller Beteiligten abzuarbeiten. Schon Wochen vor Prozessbeginn hatte die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua erklärt, dass es "ausreichende und unwiderlegbare Beweise" gebe, um Bo-Gu Kailai schuldig zu befinden. Bei der Hauptverhandlung sagte sie dann auch, sie "akzeptiere alle Fakten der Anklage und sehe ruhig jedweder Strafe entgegen". Chinas Zeitungen und das heftig zensierte Internet durften nur einen einheitlichen Prozessbericht der Nachrichtenagentur Xinhua veröffentlichen. Heikle Informationen, die vor Gericht zur Sprache kamen, mussten sie auslassen. Nach Aussagen von Zuhörern ging das Gericht auf den "Wirtschaftsstreit" zwischen Madame Bo und dem Briten ein. Es sei dabei um zwei geplante, aber nicht realisierte Bauprojekte in Frankreich und Chongqing im Wert von 140 Millionen britischen Pfund gegangen. Heywood habe zehn Prozent Provision verlangt. In die Projekte sei auch der in Polizeihaft verschwundene Dalianer Konzernchef und Milliardär Xu Ming verwickelt gewesen, ein Geschäftsfreund von Bo Xilai.

Zur Sprache kam auch das Verhalten des Polizeichefs von Chongqing, Wang Lijun, ein weiterer Kumpan von Bo Xilai. Er hatte versucht, die Aufklärung des Mordes zu vertuschen. Er entsandte vier Polizeiermittler, die halfen, Spuren zu beseitigen. Wang, der sich später mit Bo Xilai überwarf, floh am 6. Februar 2012 ins US-Konsulat im benachbarten Chengdu und brachte den Stein so erst ins Rollen. Inzwischen sitzt Wang in Staatssicherheitshaft. Er soll in einem Geheimprozess wegen Verrats angeklagt werden. Die vier Polizeioffiziere wurden zu Haftstrafen zwischen fünf und elf Jahren verurteilt.

Das Gericht umging in der Urteilsbegründung alle Fragen der unter den Parteifunktionären verbreiteten Korruption. Für das Gericht war es ein Giftmord - nichts weiter. Und Madame Bo entkommt mit der Verurteilung zu lebenslanger Haft der von ihr einst so geschätzten Unerbittlichkeit der chinesischen Justiz. Das Magazin "Renwu Nanfang" ließ seine Reporter das Buch der Staranwältin über ihren einstigen Prozesserfolg in den USA, erneut durchlesen. Darin steht ein großes Lob auf Chinas Rechtswesen und ein Satz, der zumindest für seine Autorin nicht zutrifft: "Wenn erwiesen ist, dass Du jemanden ermordet hast, dann wirst Du verhaftet, verurteilt und exekutiert."