Russland schickt Kriegsschiffe nach Syrien. Menschen ergreifen vor den Kämpfen die Flucht - täglich 600 kommen in Richtung Türkei an.

Aleppo/Genf/Berlin. In Syrien fließt weiter Blut. Aktivisten berichten von einem neuen Massaker der Regierungstruppen mit 62 Opfern. Zehntausende Syrer sitzen nach UN-Angaben vielerorts wegen anhaltender Kämpfe in ihren Wohnungen in der Falle. Aus Angst, ins Kreuzfeuer zu geraten oder gar gezielt beschossen zu werden, trauten sie sich nicht mehr auf die Straße, sagte die Sprecherin des UN-Flüchtlingshilfswerkes (UNHCR), Melissa Fleming, am Freitag in Genf.

Russland schickt nach Angaben aus Militärkreisen drei große Landungsboote in die Hafenstadt Tartus. Jedes der Kriegsschiffe habe bis zu 120 Marineinfanteristen an Bord, berichteten russische Nachrichtenagenturen am Freitag unter Berufung auf den Generalstab. Unklar war zunächst der Hintergrund der Aktion. Russland hatte aber erklärt, es werde Soldaten nach Syrien entsenden, sollte dies für den Schutz von Landsleuten oder zum Abzug von Material von dem Stützpunkt nötig werden. In Tartus unterhält die russische Marine einen Stützpunkt, der vor allem der Versorgung und Wartung seiner Kriegsschiffe in der Mittelmeerregion dient. Er ist der letzte Marinestützpunkt Russlands außerhalb der früheren Sowjetrepubliken.

+++Assad bringt Panzer in Aleppo in Stellung+++

Getrieben von der Angst vor den Kämpfen und Gewaltakten von Regierungssoldaten und Rebellen ergreifen immer mehr Syrer die Flucht. Mehr als die Hälfte von ihnen sind nach Angaben des Hilfsorganisation Unicef Kinder. Der Flüchtlingsstrom in Richtung der Nachbarländer gehe unvermindert weiter. Allein in die Türkei würden inzwischen pro Tag 400 bis 600 Syrer flüchten, die meisten von ihnen aus Aleppo. In Damaskus erfasse der Syrische Arabischen Halbmond (SARC), der vom UNHCR unterstützt wird, immer mehr hilfebedürftige Flüchtlinge, kürzlich rund 700 an einem einzigen Tag.

Während die Zahl der Flüchtlinge in benachbarten Ländern täglich um Hunderte wachse, seien derzeit innerhalb des Bürgerkriegslandes etwa 1,5 Millionen Menschen „entwurzelt und als Flüchtlinge entweder bei Gastfamilien oder in provisorischen Nothilfelagern“ untergekommen. Diesen Menschen Hilfe zu leisten, sei angesichts der gefährlichen Lage im Lande immer schwieriger.

Vor allem in der umkämpften Großstadt Aleppo sei die Sicherheitslage „dramatisch“. Auch aus der Hauptstadt kämen Berichte über Explosionen und eine Ausweitung der Gewalt. So seien in einem älteren Lager für palästinensische Flüchtlinge bei einem Beschuss mit Mörsergranaten 20 Menschen getötet und zehn weitere verletzt worden.

Wegen der dramatischen Entwicklung richtete die Bundesregierung einen eigenen Syrien-Arbeitsstab ein. Auch nach dem Abgang des internationalen Sonderbeauftragten Kofi Annan in Syrien setzt die Bundesregierung auf eine politische Lösung. Außenminister Guido Westerwelle appellierte am Freitag an Syriens zerstrittene Opposition, „dringend zu größerer Einheit zu finden“. Die Bundesrepublik leistet vor Ort humanitäre Hilfe. Ein Flüchtlingslager werde mit deutscher Hilfe aufgebaut, sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Rupert Polenz (CDU), im ARD-Morgenmagazin. „Das THW ist dort vor Ort. Die Bundesregierung hat etwa 11,5 Millionen Euro bereitgestellt für die unmittelbare Hilfe für die Flüchtlinge.“ Sie leiste aber keine militärische Unterstützung für die syrischen Rebellen. Auf die Frage, ob Deutschland die Rebellen direkt mit Geld oder Kommunikationsmitteln unterstütze, erklärte Polenz: „Wir unterstützen jedenfalls nicht mit Waffen.“

+++Ban sucht schon nach einem Nachfolger für Annan+++

Der Rückzug des früheren UN-Generalsekretärs bedeutet auch für Deutschland einen schweren Rückschlag. Westerwelle äußerte großes Bedauern. Annans Sechs-Punkte-Plan sei aber „nach wie vor die beste Grundlage für ein Ende der Gewalt“. Die Bemühungen um den Einstieg in einen politischen Übergangsprozess müssten fortgesetzt werden. Für Annans Scheitern machte Westerwelle die beiden Veto-Mächte Russland und China mitverantwortlich.

Als möglicher Nachfolger für den gemeinsamen Sonderbeauftragten von Vereinten Nationen und Arabischer Liga ist unter anderem der ehemalige finnische Präsident Mahti Ahtisaari im Gespräch. Der sozialdemokratische Politiker bekam für seine Bemühungen zur Lösung verschiedener internationaler Konflikte auch schon den Friedensnobelpreis. Im Auswärtigen Amt wurden zur Annan-Nachfolge noch keine Namen genannt.

Der neue Arbeitsstab („Task Force Syrien“) in Berlin soll die Arbeit verschiedener Bundesministerien zusammenführen. Beteiligt sind neben dem Auswärtigen Amt auch das Verteidigungs-, Innen- und Entwicklungsministerium. Die Leitung übernimmt der Nahost-Beauftragte des Auswärtigen Amts, Boris Ruge.

Die weitere Entwicklung im Syrien-Konflikt ist nach dem Rücktritt des internationalen Vermittlers Kofi Annan völlig unklar. Nach Einschätzung des französischen UN-Botschafters Gerard Araud wird der Sicherheitsrat höchstwahrscheinlich das Mandat der Beobachter der Vereinten Nationen (UN) in Syrien nicht erneuern. „Ich glaube, die Mission wird am 19. August erlöschen“, sagte Araud. In dem Falle müssten die Beobachter Syrien verlassen. Dagegen sagte der russische UN-Botschafter Witali Tschurkin, sein Land werde UN-Generalsekretär Ban Ki Moon drängen, den Beobachtereinsatz fortzusetzen.

Annan hatte bei der Erklärung seines Rückzugs vor allem den UN-Sicherheitsrat kritisiert, der in der Syrien-Frage weitgehend gelähmt ist. Russland und China haben dort immer wieder Resolutionen gegen Syrien blockiert. Sie sehen in den Forderungen der westlichen Staaten nach einem Rücktritt des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad, eine unzulässige Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Landes. Außerdem verlangen sie, dass auf alle Konfliktparteien gleichermaßen Druck ausgeübt werden sollte.

Der Iran hat hingegen den Westen und arabische Staaten für das Scheitern Annans verantwortlich gemacht. „Der Westen und einige Länder der Region waren gegen einen Erfolg Annans, weil dieser die Durchsetzung ihrer eigenen Ziele verhindert hätte“, zitierte die Nachrichtenagentur Irna den Außenminister Ali Akbar Salehi. Annan hatte sich mehrfach dafür ausgesprochen, den Iran in die Bemühungen zur Lösung des Syrien-Konflikts einzubeziehen. Dies wurde vom Westen jedoch abgelehnt