Der Mord an der russischen Bürgerrechtlerin Natalja Estemirowa hat international heftige Kritik ausgelöst. Der Kreml ordnete jetzt Ermittlungen an..

Moskau. Die Ermordung der international anerkannten Menschenrechtlerin Natalja Estemirowa hat Russland und die internationale Gemeinschaft erschüttert. Präsident Dmitri Medwedew kondolierte der Familie der 50-Jährigen und wies den ranghöchsten russischen Ermittler an, „die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen“. Die Entführung und Erschießung der Aktivistin am Mittwoch löste heftige internationale Kritik aus wie bei der Ermordung der Journalistin Anna Politkowskaja vor drei Jahren.

Estemirowa war wie Politkowskaja seit dem zweiten Tschetschenienkrieg 1999 Menschenrechtsverletzungen in der russischen Kaukasusregion nachgegangen – was im Kreml nicht gern gesehen wurde. Nach dem Mord an Politkowskaja reagierte der damalige Präsident Wladimir Putin erst nach drei Tagen und räumte dann ein, ihre Ermordung habe „den russischen und tschetschenischen Behörden mehr geschadet als ihre Publikationen“.

An dem Versuch einer offiziellen Schadensbegrenzung beteiligte sich am Donnerstag auch der Kreml-treue tschetschenische Präsident Ramsan Kadyrow, der von Estemirowas Kollegen bei der Menschenrechtsorganisation Memorial eher im Umkreis der Täter und Drahtzieher gesehen wird. Kadyrow kündigte an, er werde die Ermittlungen persönlich leiten. Er werde die Verantwortlichen für diese „zynische und provokative“ Tat ihrer gerechten Strafe zuführen. Memorial erklärte dagegen, Kadyrow habe Estemirowa als „persönliche Feindin“ betrachtet.

Die 50-Jährige wurde am Mittwoch in Grosny von vier Männern in ein Auto gezerrt und entführt. Neun Stunden später wurde ihre Leiche in der Nachbarrepublik Inguschetien in einem Straßengraben aufgefunden. Sie wies Schusswunden am Kopf auf.

Der tschetschenische Präsident war von der russischen Opposition bereits beschuldigt worden, 2006 in den Mord an Politkowskaja verwickelt gewesen zu sein. Kadyrow entgegnete solchen Vorwürfen mit den Worten: „Ich bringe keine Frauen um.“

Kurz vor Estemirowas Tod legten Kollegen auf einer Pressekonferenz in Moskau einen Bericht über fast tausend gewaltsame Todesfälle von Zivilpersonen während der tschetschenischen Kriege vor. Vor der Veröffentlichung dieser Dokumentation gab nach Angaben von Menschenrechtlern zumindest indirekte Drohungen. Mindestens ein Teilnehmer der Pressekonferenz wurde laut einem Rundfunkbericht später festgenommen.

Eine Sprecherin Medwedews, Natalja Timakowa, räumte ein, dass offenkundig eine Verbindung zwischen Estemirowas Ermordung und ihrer Menschenrechtsarbeit gebe. „Die Bestrafung der Täter sollte deshalb härter sein“, sagte sie.

Mehrere Dutzend Anhänger Estemirowas versammelten sich am Donnerstag vor dem tschetschenischen Regionalbüro von Memorial, um ihre Trauer zu bekunden – darunter auch ihre 16-jährige Tochter Lana. Die Beisetzung der Aktivistin war im Laufe des späteren Nachmittags geplant.

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier forderte eine rasche Aufklärung des Verbrechens. „Ich bin bestürzt über die Ermordung von Natalja Estemirowa und verurteile diese feige Tat auf das Schärfste“, erklärte er in Berlin. Die Generalsekretärin von Amnesty International, Irene Khan, sagte, Estemirowas sei eine Folge der Straflosigkeit, der sich die Täter sicher sein könnten. „Menschenrechtsverletzungen in Russland, vor allem im Nordkaukasus, können nicht länger ignoriert werden“, betonte Khan. „Und die, die für Menschenrechte eintreten, brauchen Schutz.“ „Oleg Orlow, der Vorsitzende der Menschenrechtsorganisation Memorial, für die Estemirowa gearbeitet hatte, sagte: Ich bin überzeugt, dass hinter diesem Mord die Führung der Teilrepublik Tschetschenien steht."