Der gigantische wirtschaftliche Aufschwung Chinas hat viele Probleme des Riesenreiches in den vergangenen beiden Jahrzehnten verdeckt. Gelöst hat er sie nicht.

Im Gegenteil: In Zeiten der Krise brechen alle Konflikte umso stärker hervor.

Millionen Wanderarbeiter haben auf Baustellen und in Fabriken ihre Jobs verloren und ziehen durch das Land. Nationale Minderheiten werden im Reich der Mitte allenfalls zu Parteitagen als pittoresk kostümierte Staffage geduldet. Ansonsten gelten sie als des Separatismus verdächtige Elemente und werden misstrauisch überwacht. Noch immer ungelöst ist das Energieproblem Chinas, das in nennenswerten Mengen nur über Kohle verfügt und deshalb seit Längerem auf die riesigen Gas- und Öl-Vorräte Zentralasiens hofft.

Alle drei Probleme treffen sich im Westen Chinas, dort, wo die muslimische Minderheit der Uiguren lebt. Viele von ihnen sind als Wanderarbeiter unterwegs, weil die eigene Heimat am Aufschwung keinen Anteil hatte. Wie auch in anderen Regionen setzen die Machthaber in Peking auf das Übergewicht der Han-Chinesen und siedeln immer mehr von ihnen in den Provinzen mit nationalen Minderheiten an, bis sie die Mehrheit stellen - was unweigerlich zu Spannungen führt. Und schließlich ist die Heimat der Uiguren das Tor Chinas zu den Energieressourcen des Kaspischen Beckens und damit eine geostrategische Schlüsselstelle ersten Ranges.

Dass China seine nationalen Interessen wahren will, ist verständlich und legitim. Dass den Machthabern als Problemlösung wie vor 20 Jahren auf dem Tienanmen-Platz oder regelmäßig in Tibet keine andere Lösung als brutale Gewalt einfällt, zeugt von der Starrheit eines kommunistischen Systems, das sein Wesen nur notdürftig hinter der Maske wirtschaftlicher Reformen verborgen hat.