Premier ruft nationalen Feiertag zum Ende der Besatzung aus. 250 Tote bei Attentaten und Schießereien allein im Juni.

Bagdad. Zum Countdown lief im Fernsehen eine Uhr, mit wehender Flagge und dem Hinweis "30. Juni: Tag der nationalen Souveränität". Der heutige Tag soll in die Geschichtsbücher Iraks eingehen. Premierminister Nuri al-Maliki spricht vom Ende der amerikanischen Besatzung, hat den 30. Juni zum nationalen Feiertag erklärt und seinen Landsleuten frei gegeben. Denn heute werden sich die US-Truppen aus den irakischen Städten zurückziehen.

"Die schwarzen Tage der vergangenen Jahre liegen hinter uns", sagt der Oberkommandierende der US-Truppen im Irak, General Ray Odierno in Bagdad. "Der Zeitpunkt für den Rückzug ist gerechtfertigt. Ich habe jetzt mehr Vertrauen in die irakischen Sicherheitskräfte denn je." Doch die neuen schweren Bombenanschläge lassen Zweifel aufkommen, ob die Iraker allein die Sicherheit ihrer Landsleute garantieren können. Seit Monatsbeginn starben mehr als 250 Menschen bei Bombenanschlägen und Schießereien.

Der irakische Hauptmann Morbada zweifelt nicht daran, dass die Iraker es schaffen können. Sein kleines Dienstzimmer liegt im Obergeschoss des Hauses unmittelbar an der Einfahrt von Amrija im Westen Bagdads. "Niemand darf mit Waffe nach Amrija", erklärt der Kommandeur, "selbst wenn er einen Waffenschein besitzt. "In Amrija entwaffnen wir radikal!"

Amrija galt lange als Hochburg sunnitischer Rebellen und Terrororganisationen jeder Couleur, ein Hort für diejenigen, die Chaos stiften und eine radikal-islamische Republik schaffen wollten. Fast täglich explodierten hier in den schlimmsten Terrorjahren 2006 und 2007 Bomben und Sprengsätze, wurden voll besetzte Busse gesprengt, Menschen entführt und erschossen. Seit vor zwei Jahren eine Betonmauer um Amrija gezogen wurde und der Eingang kontrolliert wird, gilt der Ort als sicher.

Das werde auch so bleiben, wenn die Amerikaner aus der Stadt abgezogen sein werden, sagt Morbada. Nach wie vor werde es eine enge Zusammenarbeit mit den "Erweckungsräten" geben, dem Pakt der Clans und Stämme im Kampf gegen al-Qaida.

Abu Miriam ist als einer der Erweckungsräte Gesprächspartner von Hauptmann Morbada. "Die Hinweise über Waffenlager oder verdächtige Personen werden von der Bevölkerung an uns herangetragen", sagt er. "Ich gebe sie dann an die Armee weiter." Nur in Ausnahmefällen dürfen seine Kämpfer selbst Verdächtige festnehmen, meist aber patrouillieren sie ohnehin gemeinsam mit regulären Soldaten der irakischen Armee.

Die Regierung hatte versprochen, die Erweckungsräte in die irakischen Sicherheitskräfte zu integrieren, doch dem sei sie bislang nur zu etwa fünf Prozent nachgekommen. Parlamentsabgeordnete behaupten, dass einige bereits zu al-Qaida übergelaufen seien.

General Abdullah will von der Integration nichts wissen, die US-Administrator Paul Bremer schon vor fünf Jahren per Dekret verordnet hatte. Auf keinen Fall werde man mehr als zehn Prozent der Truppenstärke mit Ex-Milizionären besetzen. Die neue irakische Armee zählt 262 000 Soldaten, es herrscht Einstellungsstopp.

Doch das ist nicht der einzige Grund für die ausbleibende Eingliederung der ehemaligen kurdischen Freiheitskämpfer "Peschmerga", der Schiitenmiliz "Mahdi-Armee" von Muktada al-Sadr, der ebenfalls schiitischen Badr-Brigaden oder wie jetzt der sunnitischen Kämpfer der Erweckungsräte in die Armee: "Milizen sind Klientelsoldaten", weist der General das Ansinnen Washingtons zurück. "Die irakische Armee soll dem Land dienen und nicht den Parteien." Auch deshalb seien seine Jungs bei der Bevölkerung besser angesehen, als die dem Innenministerium unterstehende Polizei.

Doch entgegen seinem obersten Dienstherr, Premier Maliki, der einen Hilferuf an die Amerikaner ausgeschlossen hat, zieht General Abdullah durchaus ein Eingreifen der US-Truppen in Betracht, "wenn es hart auf hart kommt". Wenn die irakische Seite ausdrücklich darum bittet, stehen die US-Soldaten zur Unterstützung bereit.