In vier Tagen ziehen sich sich die US-Truppen aus allen Dörfern und Städten zurück. Sunnitische Gruppen wollen das Land destabilisieren.

Hamburg/Bagdad. "Ich glaube nicht, dass hier jeder allzu sehr beschäftigt damit ist, den Sieg zu verkünden. Ich glaube auch nicht, dass wir das notwendigerweise jemals tun werden." Die geradezu verbitterten Worte von Pentagon-Sprecher Geoff Morell auf einer Pressekonferenz des US-Verteidigungsministeriums spiegelten die alarmierende Sicherheitslage im Irak wider: Am Donnerstag kamen vier Schiiten bei einem Anschlag in Bagdads Viertel Al-Bajja ums Leben; in Falludscha starben derweil fünf irakische Soldaten. Am Mittwochabend war eine auf einem Motorrad befestigte Bombe im Schiiten-Vorort Sadr-City explodiert und hatte 76 Markt-Besucher in den Tod gerissen.

Am Sonnabend hatte eine Autobombe in Taza, ebenfalls in einer schiitischen Region im Nordirak, mehr als 70 Menschen getötet. Und am 10. Juni starben 28 Menschen in Nasiriya, Metropole einer vorwiegend von Schiiten bewohnten Gegend im Süden des Irak. Hunderte Menschen wurden bei den Anschlägen verletzt.

Anhänger des radikalen Schiiten-Geistlichen Muktada al-Sadr waren mit Schuldzuweisungen rasch bei der Hand: Es sei die 11. Brigade der irakischen Armee gewesen, und dahinter stünden die Amerikaner. Es ist eine ziemlich törichte Behauptung, denn die Amerikaner sind gerade jetzt stark daran interessiert, einen ruhigen Irak zu präsentieren. Die US-Truppen werden sich nämlich entsprechend einem Abkommen namens Sofa mit der irakischen Regierung ab Dienstag aus sämtlichen Städten und Dörfern zurückziehen. Angesichts der buchstäblich explodierenden Gewalt hatte der Kommandeur der US-Truppen im Irak, General Ray Odierno, kürzlich noch erklärt, ein Teil seiner Soldaten werde weiterhin in Bagdad und Mossul bleiben. Doch US-Präsident Barack Obama bestand auf einer vollständigen Erfüllung des Abkommens mit der Regierung von Ministerpräsident Nuri al-Maliki. Die Amerikaner werden sich also in ihre befestigten Stützpunke zurückziehen und die irakische Armee nur noch beraten. Der endgültige Abzug der noch 134 000 US-Soldaten ist für Ende 2011 vorgesehen. Und die einst 33 Staaten umfassende "Koalition der Willigen" ist längst aufgelöst - die Amerikaner sind jetzt allein.

Die Offensive der offensichtlich sunnitischen Attentäter soll deutlich machen, dass die irakische Armee nicht in der Lage ist, das Land zu stabilisieren. 2005 hatte eine ähnliche Welle von Angriffen die Schiiten dazu veranlasst, Milizen zu bilden und gegen die Sunniten zurückzuschlagen. Die "New York Times" zitierte den in Sadr City arbeitenden Arzt Muayad Hamed: "All dies richtet sich gegen al-Maliki", sagt er. "Auf den Straßen geht das Gerücht um, nach dem 30. Juni werde es noch viel mehr Angriffe geben - um zu zeigen, dass al-Maliki ohne die Amerikaner nicht arbeiten kann und dass er seine ganze Macht nur von ihnen hat."

Verkehrte Welt: Viele Iraker, die den Abzug der Amerikaner herbeigesehnt hatten, fürchten ihn nun. Die Angst wächst, Irak könne in einer Welle von blutiger Gewalt untergehen - wenn Militante beider Religionsgruppen, al Qaida im Irak, Anhänger des früheren Despoten Saddam Hussein und örtliche Warlords ihre politischen Ziele herbeibomben und alte Rechnungen begleichen.

Die bange Frage ist, ob die 270 000 irakischen Soldaten und 348 000 Polizisten und Bürgerwehrkämpfer bereits in der Lage sind, Sicherheit herzustellen.

Ein weiteres Problem ist die im Irak wild grassierende Korruption, die alle Bemühungen der US-Vertreter um eine funktionierende Verwaltung unterläuft.

Für die USA wäre das in doppelter Hinsicht eine Katastrophe. Nicht nur, dass sie dann endgültig im Irak gescheitert wären - die vorübergehend so erfolgreiche Irak-Strategie des US-Generals David Petraeus gilt als Modell für die Befriedung Afghanistans.