Im Sudan, seit Jahrzehnten Bürgerkriegsland, schwillt die Protestbewegung gegen Militärdespot al-Baschir. Auslöser waren Preiserhöhungen.

Hamburg. Die jüngsten Volksaufstände im Sudan, so beschrieb es die Londoner Zeitung "The Independent" blumig, ein arabisches Sprichwort zitierend, könnten "der Strohhalm sein, der dem Kamel das Kreuz bricht".

Bislang hatte der Arabische Frühling die islamische Militärdespotie unter Präsident Omar Hassan Achmed al-Baschir allenfalls gestreift. Noch vor einem Jahr hatte der Generalleutnant, der das Land bereits seit 1989 mit eiserner Faust beherrscht, getönt, ein Umsturz wie in Tunesien oder Ägypten sei im Sudan völlig ausgeschlossen. Zwar gab es Proteste im Sudan sogar schon früher als in Tunesien - aber das Regime schlug sie jedes Mal blutig nieder.

Doch dann spaltete sich im vergangenen Juli der Südsudan nach einem langen, blutigen Sezessionskrieg ab und stellte seine Ölproduktion im Januar ein. Der Norden verlor damit entscheidende Einnahmen und Energiequellen. Beide Staaten sind ungeachtet eines Friedensabkommens von 2006 in verbissene Grenzgefechte verwickelt. Al-Baschir wendet fast drei Viertel seines Staatshaushalts für das ihn stützende Militär auf. Die Inflation im Sudan ist seitdem auf 30 Prozent gestiegen. Nahrungs- und Energiepreise kletterten sogar noch höher, denn das Regime erhöhte drastisch Preise und Steuern. Die Wut in der Bevölkerung stieg - auch eingedenk der horrenden Korruption innerhalb der Führungsschicht.

Als Studentinnen der Universität Khartum am 16. Juni plötzlich in der Kantine die doppelten Preise für ihr Essen zahlen sollten, veranstalteten sie mit ihren männlichen Kommilitonen einen Protestmarsch in der Hauptstadt - und wurden prompt von den Sicherheitskräften zusammengeschlagen. Die Polizei besetzte den Campus samt den Schlafsälen; wie im benachbarten Ägypten kam es zu sexuellen Übergriffen gegen demonstrierende Frauen. Der Protest breitete sich rasch aus, am vergangenen Freitag gab es bereits an 30 Orten im Sudan Proteste mit Zehntausenden Teilnehmern. Das Regime mobilisierte Schlägerbanden mit Metallrohren und Messern, setzte Tränengas und Gummigeschosse sowie die verhasste Geheimpolizei NISS ein. Zahlreiche Menschen verschwanden in Gefängnissen.

An diesem Wochenende - der 30. Juni ist der 23. Jahrestag der Machtergreifung al-Baschirs - wollen die Organisatoren der Opposition Abertausende Menschen zu Demonstrationen gegen den Despoten bewegen. Die Proteste stehen unter dem Motto "Leck deinen Ellenbogen", wie der "Independent" berichtet. Diese Redewendung bedeutet so viel wie: Tu etwas Unmögliches. Das Motto entspricht damit dem Sinn nach Barack Obamas "Yes we can".

Omar al-Baschir steht einer islamischen Republik vor, in der die Scharia mit grausamen Körperstrafen gilt. Frauen werden bereits ausgepeitscht, wenn sie Hosen tragen. Die Menschenrechtsbilanz gehört zu den schlimmsten der Erde. Der Sudan, fünfmal so groß wie Deutschland, ist seit Jahrzehnten Bürgerkriegsland. Hunderttausende sind ums Leben gekommen, mehr als drei Millionen Menschen sind innerhalb des Landes auf der Flucht oder in Nachbarstaaten wie den Tschad geflohen. Wegen des ultrabrutalen Vorgehens von sudanesischen Truppen und Milizen in der Region Darfur hat der Internationale Strafgerichtshof einen Haftbefehl gegen Präsident al-Baschir ausgestellt.

Wie das US-Magazin "Time" diese Woche meldete, haben Flüchtlinge, die die Grenze in den Südsudan überquerten, von neuen Massakern der sudanesischen Regierungstruppen und Milizen berichtet - diesmal im Bundesstaat Blauer Nil, wo zahlreiche nicht arabisierte Stämme leben. Überlebende erzählten, die Armee sei in Dutzenden Fahrzeugen gekommen; die Soldaten hätte die Menschen erschossen oder in Stücke gehackt, die Häuser seien zerstört worden, die Brunnen vergiftet, die Ernte vernichtet. Alte Menschen seien in ihren Häusern bei lebendigem Leibe verbrannt. Diese Berichte kamen auch der Organisation Ärzte ohne Grenzen zu Ohren. Rund 170 000 Menschen sind in den vergangenen Monaten in den Südsudan geflohen.

Hintergrund der Tragödie ist, dass bei der Teilung in zwei Staaten die beiden Regionen Blauer Nil und Südkordofan beim Norden verblieben - dort hatten aber viele Menschen mit der südsudanesischen Volksbefreiungsarmee SLPA gekämpft. Omar Hassan al-Baschir will die Saat des Aufruhrs offenbar ein für allemal ausrotten. In den Ingassana-Bergen versperrten sudanesische Truppen die Fluchtwege in den Südsudan und hungerten die Menschen aus. "Wenn ein Soldat jemanden fand, der nach Wasser oder Nahrung suchte, erschoss er ihn", berichtete ein Überlebender dem "Time"-Reporter.

Der Konflikt hat den Sudan wirtschaftlich verheerend getroffen. In Khartum hat eine Oppositionsgruppe mit dem Namen Girifna - auf Deutsch: "Wir haben es satt", nun klare Forderungen an Präsident al-Baschir gestellt: Aufhebung des Ausnahmezustands, Wahl einer Übergangsregierung, Rücknahme der Preiserhöhungen.