Die Türkei ärgert sich über das französische Genozid-Gesetz. Ankara zieht Botschafter aus Paris ab und droht mit weiteren Konsequenzen.

Paris. Die diplomatischen Beziehungen zwischen Frankreich und der Türkei befnden sich auf einem Tiefpunkt. Nicht nur, dass Ankara einen Diplomaten in der türkischen Vertretung in Paris abziehen ließ. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan kündigte zudem auch an. er werde die militärische Zusammenarbeit abbrechen. Ankara werde gemeinsame Truppenübungen einstellen und Flüge über türkisches Staatsgebiet einschränken. Hintergrund des Streits ist ein neues französisches Gesetz, das die Leugnung von Völkermorden unter Strafe stellt.

+++ Pariser Nationalversammlung beschließt Genozid-Gesetz +++
+++ Völkermord-Gesetz bringt Türkei in Rage +++

Es wurde am Donnerstag in der Pariser Nationalversammlung gegen heftige Kritik aus der Türkei mehrheitlich beschlossen. Der von der konservativen UMP-Abgeordneten Valérie Boyer eingebrachte Entwurf passierte die erste Parlamentskammer über alle Parteigrenzen hinweg mit einer großen Mehrheit der 50 anwesenden Abgeordneten – nur ein halbes Dutzend Parlamentarier stimmte dagegen.

Worum geht es? Das Gesetz stellt die Leugnung offiziell anerkannter Völkermorde unter Strafe. Darunter fallen nach französischer Lesart auch die Verbrechen an den Armeniern im Osmanischen Reich 1915-1917. Die Türkei bestreitet als Rechtsnachfolgerin des Osmanischen Reiches jedoch einen Genozid. Die Türkei sträubt sich dagegen, die Tötung der Armenier als Völkermord zu bezeichnen. Dieser fast hundert Jahre zurückliegende Konflikt sei etwas für Historiker, heißt es in der Türkei. Zugleich erinnerte Erdogan kürzlich an Frankreichs eigene koloniale Vergangenheit und an ein Massaker 1945 in Algerien. Die Gräueltaten an den Armeniern werden allerdings von mehr als einem Dutzend Staaten als Völkermord gewertet. Dazu gehören Frankreich und die Schweiz. Die nun erfolgte Zustimmung stellt die Leugnung des Völkermords an Armeniern auf eine Stufe mit der Leugnung des Holocausts und hat eine Gefängnisstrafe von bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe von bis zu 45.000 Euro zur Folge.

Der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu hatte bereits im Vorfeld erklärt, eine Verabschiedung des umstrittenen Gesetzentwurfs werde „ernsthafte Auswirkungen“ auf die beiderseitigen Beziehungen haben. Beide Länder sind Mitglieder der Nato und bei der Vermittlung in internationalen Konflikten enge Partner. Auch im Bereich der Wirtschaft bestehen sehr enge Verbindungen. Außerhalb des Parlaments hatten Türken vor der Abstimmung am Donnerstag demonstriert

Boyer meinte nach der Abstimmung im Nachrichtensender BFM-TV mit Blick auf die türkischen Drohungen: „Wir befinden uns nicht in einer türkisch-französischen Debatte, wir sind französische Abgeordnete, die vom französischen Volk gewählt wurden.“ Das Gesetz ziele nicht auf die heutige Türkei oder deren Regierung. Es sei paradox, dass ein Land mit Repressalien drohe, das die Aufnahme in die EU anstrebe. Schon im Vorfeld hatte Ankara wirtschaftliche und politische Maßnahmen als Reaktion auf eine Zustimmung der Nationalversammlung angekündigt, ohne diese zunächst im Detail zu erklären.

Türkische Medien berichteten, der Abzug des türkischen Militärattachés aus Paris und eine Aussetzung der bilateralen militärischen Zusammenarbeit seien weitere Optionen. Ankara könne auch den politischen Dialog mit Frankreich über Fragen wie den Syrien-Konflikt einschränken, hieß es. Der für europäische Angelegenheiten zuständige Minister Jean Leonetti hatte die türkischen Drohungen am Donnerstag im Rundfunksender „France Inter“ als haltlos zurückgewiesen und einen entspannteren Dialog mit Ankara gefordert. Er glaube nicht an ernsthafte Konsequenzen, erklärt er.

Aus der Perspektive der Türkei ist der Gesetzes-Vorstoß ein Manöver von Präsident Nicolas Sarkozy, der damit strategisch die anstehende Wahl 2012 beeinflussen will. Er ziele damit auf armenischstämmige Wähler im Land, hieß es. Bei der offenen Abstimmung unterstützten allerdings auch die oppositionellen Sozialisten den Entwurf. Unmittelbar zuvor hatten rund tausend Menschen vor der Nationalversammlung dagegen den Gesetzesvorstoß protestiert.

Armenien dankte Frankreich offiziell für das Genozid-Gesetz. Der französische Staat habe damit bewiesen, dass die Menschenrechte die höchsten Werte überhaupt seien, sagte der armenische Außenminister Edward Nalbandjan am Donnerstag nach Angaben von Medien in Eriwan. Wegen des Streits um die Gräueltaten ist die Grenze zwischen Armenien und der Türkei geschlossen.

Mit Material von dpa/dapd