Das Genozid-Gesetz stellt das Leugnen von Völkermorden unter Strafe. Heftige Proteste der Türkei begleiteten die Nationalversammlung.

Paris. Ein Gesetz gefährdet die Beziehungen zwischen Frankreich und der Türkei: Am Donnerstag hat in der Pariser Nationalversammlung gegen heftige Kritik aus der Türkei ein Gesetz beschlossen, das die Leugnung von Völkermorden unter Strafe stellt. Der umstrittene Gesetzentwurf passierte in erster Lesung die Parlamentskammer. Tausende türkischstämmige Franzosen haben vor der Nationalversammlunggegen das Gesetz demonstriert. Die Türkei hat Frankreich vor diplomatischen Verwicklungen gewarnt. Der Gesetzesentwurf der konservativen UMP-Abgeordneten Valérie Boyer schreibt empfindliche Strafen für diejenigen fest, die offiziell anerkannte Völkermorde leugnen - darunter nach französischer Lesart auch die Verbrechen des Osmanischen Reiches an den Armeniern im Ersten Weltkrieg 1915-1917. Paris hatte die Verbrechen 2001 zum Genozid erklärt. Die Türkei, Rechtsnachfolgerin des Osmanischen Reiches, bestreitet einen Genozid.

Das Gesetz sieht offiziell die Umsetzung einer europäischen Direktive vom 28. November 2008 vor, die den Kampf gegen jegliche Form von Rassismus oder Ausländerfeindlichkeit im nationalen Recht festschreiben soll. Für die Leugnung von offiziell anerkanntem Völkermord sollen Strafen von einem Jahr Haft und 45.000 Euro Geldzahlung festgesetzt werden.

Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hatte zuvor Paris vor schweren Konsequenzen bei einer Verabschiedung des Gesetzes gewarnt. Der für europäische Angelegenheiten zuständige Minister Jean Leonetti wies sie am Donnerstag im Rundfunksender „France Inter“ als haltlos zurück und forderte einen „ruhigeren Dialog“ mit Ankara. Er glaube nicht an ernsthafte Konsequenzen. Der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu sagte am Mittwoch, er habe seinen Kollegen Alain Juppe darauf hingewiesen, dass kein türkischer Politiker von einem Völkermord sprechen würde, falls er bei einem Besuch in Frankreich danach gefragt werde. Folgende juristische Schritte würden „ernsthafte Auswirkungen“ auf die beiderseitigen Beziehungen haben. Die Türkei sträubt sich seit jeher dagegen, die Tötung hunderttausender Armenier im Osmanischen Reich als Völkermord zu bezeichnen.

Die Türkei sieht im Gesetz ein wahltaktisch motiviertes Manöver von Präsident Nicolas Sarkozy, das auf armenischstämmige Wähler zielt. In Frankreich leben rund 500.000 Menschen armenischer Abstammung. Der Entwurf muss nach der Verabschiedung in der Nationalversammlung noch die von den oppositionellen Sozialisten dominierte zweite Parlamentskammer, den Senat, passieren. Armenien vertritt wie die meisten Wissenschaftler und Regierungen weltweit die Auffassung, dass damals rund 1,5 Millionen christliche Armenier 1915/16 während des Ersten Weltkriegs auf Anordnung der osmanischen Führung getötet wurden.

Die französischen Parlamentsdebatten über das Leid der Armenier im Osmanischen Reich während des Ersten Weltkriegs haben Tradition. Am 29. Januar 2001 hatte das französische Parlament per Gesetz einen Völkermord in Armenien anerkannt. 2006 hatte die Nationalversammlung in erster Lesung einem Gesetzentwurf der Sozialisten zugestimmt, der das Leugnen des armenischen Genozids unter Strafe stellt. Bisher ist das nur für die Leugnung des Holocausts vorgesehen. Nachdem der von Präsident Nicolas Sarkozys Partei UMP dominierte Senat den Entwurf abgelehnt hatte, stellte Sarkozy bei einem offiziellen Besuch in Armenien ein neues Gesetz in Aussicht, sollte Ankara seine ablehnende Haltung zur Anerkennung der Massaker als Genozid nicht ändern.

Mit Material von dpa/dapd