Die internationale Afghanistan-Konferenz in Bonn bringt keinerlei neue Erkenntnisse, sondern nur die üblichen Lippenbekenntnisse

Bonn. Eine knappe Stunde dauerte es, bis der deutsche Außenminister alle Hände geschüttelt hatte. Die Repräsentanten von 85 Staaten und 15 internationalen Delegationen mussten auf ihrem Weg in den alten Bundestag begrüßt werden. Dort debattierten die rund 1000 Abgesandten dann unter dem Vorsitz von Guido Westerwelle (FDP) und dessen afghanischem Amtskollegen Zalmai Rassoul sieben Stunden über die Zukunft Afghanistans.

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Nicht weniger mühsam war es für Westerwelle, den Sinn dieser Konferenz zu erklären. Er behalf sich mit dem Versuch zu beschreiben, was die diplomatische Großveranstaltung in Bonn nicht sein sollte. Zunächst einmal durfte es nicht um das Militärische gehen. Die Entscheidung zum Abzug der Kampftruppen im Jahr 2014 ist gefallen, keine westliche Regierung verfügt mehr über die Kraft, ein längeres Engagement im eigenen Land durchzusetzen.

Es sollte auch nicht um den historischen Jahrestag gehen. Zwar wurde das Treffen auf den 5. Dezember gelegt, exakt den Tag also, an dem vor zehn Jahren die erste Afghanistan-Konferenz auf dem Bonner Petersberg zu Ende gegangen war. Aber eine ausführliche Bilanz wäre für alle Beteiligten wenig erfreulich ausgefallen: Von dem damals ausgerufenen Ziel eines demokratischen Rechtsstaates nach westlichem Vorbild ist Afghanistan weit entfernt.

Schließlich sollte Bonn II auch keine Geberkonferenz werden. Auch wenn Präsident Hamid Karsai ziemlich konkrete Vorstellungen davon hat, was er nach 2014 noch so alles von der internationalen Gemeinschaft erwartet. Vor allem an Geld. Und die internationale Gemeinschaft weiß, dass sie zahlen werden muss, will sie das Land nicht unmittelbar nach dem Truppenabzug in einen neuen Bürgerkrieg gleiten lassen. Doch vor konkreten Zusagen sollte Karsai noch einmal an seine "Hausaufgaben" erinnert werden: Kampf gegen Terroristen, Drogenhandel und Korruption.

Deshalb taufte Westerwelle die Großveranstaltung auf den Namen "politische Konferenz". Das klingt unverbindlich - und war es dann auch. Das in einer Abschlusserklärung ausführlich niedergelegte Ergebnis lässt sich in seinem Kern in wenigen Sätzen zusammenfassen: Die einen bekannten sich zu ihrer Verantwortung für das Land über den Truppenabzug hinaus: "Wir lassen Afghanistan nicht im Stich." Die anderen, die Regierung Karsai, räumten die eigenen Versäumnisse ein und versprachen Besserung. Getauft wurde das Ganze dann "Beginn der neuen Phase des internationalen Engagements".

Die Frage ist, ob es dafür eine Konferenz gebraucht hätte. Der einzige substanzielle Fortschritt, der bei der Tagung angedacht gewesen war - Friedensgespräche der Regierung Karsai mit den Taliban als Grundlage aller Aufbau-, Finanz- und sonstigen Hilfsmaßnahmen -, fiel mangels Gesprächsbereitschaft der Aufständischen aus.

Es waren also weniger die Worte, sondern eher die kleinen Beobachtungen am Rande, die gestern in Bonn aussagekräftig waren. So etwa die Versuche der deutschen Bundeskanzlerin, den Eindruck einer zu großen Nähe zu Karsai zu vermeiden. Bei der Eröffnung beugte sich der afghanische Präsident mehrmals zu seiner Gastgeberin hinüber - und die wich mit abwehrenden Handbewegungen zurück. Vor zehn Jahren, bei der ersten Bonner Konferenz, war Karsai noch der große Hoffnungsträger des Westens gewesen. Mittlerweile gilt er eher als notwendiges Übel, verstrickt in Wahlfälschungen und andere kriminelle Machenschaften. So wandte sich die amerikanische Außenministerin Hillary Clinton in ihrer Rede nicht von ungefähr persönlich an den Afghanen - und lobte ihn für sein Versprechen, 2014 faire Präsidentschaftswahlen zu organisieren. Diese diplomatische Floskel war so zu verstehen, dass Karsai bitte nicht auf den Gedanken kommen solle, dann noch ein drittes Mal für das Amt anzutreten.

Eine erneute Kandidatur ist zwar in der Verfassung ausgeschlossen. Doch zitierte die "Bild" unlängst eine geheime Analyse des Bundesnachrichtendienstes, wonach Karsai an Möglichkeiten arbeitet, auch über seine Amtszeit hinaus in der Führung des Landes mitzumischen. Er führe dazu "bereits erste Sondierungsgespräche mit namhaften afghanischen Politikern".

In dieses Bild passten auch die Mahnungen der Vertreter der afghanischen Zivilgesellschaft, deren Teilnahme die deutschen Gastgeber gegen den teils hartnäckigen Widerstand der Regierung Karsai durchgesetzt hatten. So forderte der Journalist Barry Salaam von Karsai, dass er sich mehr an Rechtsstaatlichkeit statt an Einzelpersonen orientiere. Die Lage in Afghanistan sei noch lange nicht gelöst, sondern "eher komplizierter geworden".

Das durfte Angela Merkel am eigenen Leib erfahren. Nach dem obligatorischen Gruppenfoto wurde die Kanzlerin zu einem Handschlag mit Mawlawi Quiam Kashaf gelotst. Der ältere Herr mit langem weißen Bart ist eine Art religiöser Führer und spielt eine wichtige Rolle für die angestrebte Aussöhnung mit den Taliban. Im August 2010 machte eine Gruppe dieser Mullahs, deren Sprecher er ist, mit der Forderung Schlagzeilen, Karsai solle die Regeln der Scharia in der Verfassung implementieren - mitsamt deren Strafenkatalog wie Tod durch Steinigung. Wie hatte Merkel kurz vor ihrer Begegnung mit Kashaf noch gesagt: "Es ist nicht ganz einfach, die Strukturen in Afghanistan immer vollständig zu überblicken."