Mindestens 24 Menschen sind bei religiös motivierten Unruhen in Kairo ums Leben gekommen. Mehr als 200 Menschen wurden dabei verletzt.

Kairo. In der ägyptischen Hauptstadt Kairo ist es am Sonntag zu den schwersten Ausschreitungen seit dem Sturz von Präsident Husni Mubarak gekommen. Dabei sollen nach Behördenangaben mindestens 24 Menschen ums Leben gekommen sein. Mehr als 200 weitere wurden bei den Kämpfen zwischen koptischen Christen, Muslimen und Sicherheitskräften verletzt. Den Unruhen, die bis in die Nacht andauerten, war eine Demonstration tausender koptischer Christen gegen einen Angriff auf eine Kirche im Süden des Landes vorausgegangen.

Mehr als 1.000 Polizisten und Soldaten waren mit gepanzerten Fahrzeugen im Einsatz, um das Gebäude des staatlichen Fernsehsenders in der Gegend zu schützen, wo die Ausschreitungen begannen. Für das Gebiet wurde bis 7.00 Uhr am (heutigen) Montag eine Ausgangssperre verhängt.

Die Kämpfe weiteten sich auf den nahegelegenen Tahrir-Platz aus. Tausende Menschen lieferten sich dort am Sonntagabend Auseinandersetzungen, bei denen sie Steine und Brandbomben einsetzten. Einige rissen gar das Straßenpflaster auf, um sich Steine als Munition zu beschaffen.

+++ Hunderte Ägypter demonstrieren gegen das Militär +++

An einer Stelle raste ein gepanzertes Fahrzeug der Sicherheitskräfte in die Menschenmenge, erfasste ein halbes Dutzend Demonstranten unds schleuderte einige von ihnen durch die Luft. Demonstranten reagierten auf den Angriff, indem sie Militärfahrzeuge, einen Bus und Privatautos in Brand steckten.

Nach Mitternacht zogen Menschengruppen durch Straßen in der Innenstadt von Kairo und griffen Fahrzeuge an, in denen sie christliche Passagiere vermuteten.

Sitzstreik artete in Straßenkämpfe aus

Die Demonstration begann im Stadtteil Schubra, im Norden Kairos. Tausende Christen machten sich schließlich auf den Weg zum Gebäude des staatlichen Fernsehsenders. Dort skandierten sie gegen den regierenden Militärrat. Mit Stöcken bewaffnete Muslime vertrieben die christlichen Demonstranten vom Gebäude. Bereitschaftspolizisten versuchten, hunderte christliche Demonstranten zurückzudrängen, die skandierten: „Dies ist unser Land“! Es waren Schüsse zu hören. Sicherheitskräfte setzten Tränengas ein, woraufhin sich die Auseinandersetzungen auf den Tahrir-Platz verlagerten.

Christliche Demonstranten sagten, ihre Demonstration habe als friedlicher Versuch eines Sitzstreiks beim Gebäude des staatlichen Fernsehsenders begonnen, sagten christliche Demonstranten. Doch dann seien sie von Männern in Zivil angegriffen worden, die sie mit Steinen beworfen und mit Schrotkugeln beschossen hätten. „Der Protest war friedlich. Wir wollten wie üblich einen Sitzstreik abhalten“, sagte der Demonstrant Essam Chalili.

„Schlägertypen griffen uns an und ein Militärfahrzeug sprang über den Bürgersteig und überfuhr mindestens zehn Menschen. Ich habe sie gesehen“, sagte Chalili. Ein anderer Demonstrant bestätigte die Aussage. „Ich habe gesehen, wie ein Fahrzeug Demonstranten überfahren hat. Dann haben sie auf uns geschossen“, sagte Wael Rufail. Daraufhin hätten Demonstranten Militärfahrzeuge angezündet, sagte Chalili. Ein muslimischer Bewohner, Ahmed Jahia, sagte, nach dem Angriff hätten sich einige Muslime den Christen angeschlossen und gegen die Armee gekämpft.

Auf Fernsehbildern war auch zu sehen, wie das Militärfahrzeug in die Menschenmenge raste. Koptische Demonstranten griffen einen Soldaten an, während ein Geistlicher versuchte, diesen zu beschützen. Ein Soldat brach unter Tränen zusammen, als ein Krankenwagen zum Schauplatz eilte, um die Verletzten wegzubringen.

Kabinett trifft sich zu Sondersitzung

Staatliche Medien berichteten, das Kabinett der ägyptischen Interimsregierung sei zu einer Sondersitzung zusammengekommen, um über die Lage zu beraten. Ministerpräsident Essam Scharaf wandte sich in einer im Fernsehen übertragenen Rede an die Nation. Die Gewalt gefährde den Wandel nach dem Ende des Mubarak-Regimes. „Diese Ereignisse haben uns mehrere Schritte zurückgenommen“, sagte er. „Anstatt uns vorwärtszubewegen, um einen modernen Staat auf demokratischen Grundsätzen aufzubauen, bemühen wir uns wieder um Stabilität und suchen nach verborgenen Händen, im Inland und im Ausland, die sich am Schutz und an der Sicherheit des Landes zu schaffen machen.“ Er rief das ägyptische Volk zur Einheit auf.

Die Kopten werfen dem regierenden Militärrat Nachsichtigkeit bei Angriffen auf Christen im Land vor. Rund zehn Prozent der 80 Millionen Ägypter sind koptische Christen. Viele von ihnen fühlen sich von der muslimischen Bevölkerungsmehrheit benachteiligt.

(abendblatt.de/dapd)