Der kurdische Oppositionsführer Tammo wurde bei einem Angriff auf sein Haus getötet. Bei seiner Beisetzung wurden fünf Menschen getötet.

Beirut/Berlin. Erneut erschüttert Syrien eine Welle der Gewalt: Syrische Sicherheitskräfte haben am Sonnabend auf Zehntausende Trauernde geschossen, die sich zur Beisetzung eines kurdischen Oppositionsführers Maschaal Tammo in der nordöstlichen Stadt Kamischli versammelt hatten. Mindestens fünf Menschen wurden nach Angaben von Aktivisten getötet und mehrere verletzt. Die Trauernden forderten den Rücktritt von Präsident Baschar Assad: "Geh, geh!“ riefen sie.

Der kurdische Oppositionsführer Maschaal Tammo war am Freitag von vermummten Bewaffneten in seiner Wohnung getötet worden. „Ganz Kamischli ist heute auf den Straßen, die Beerdigung entwickelt sich zu einem massiven Protest“, sagte der Aktivist Mustafa Osso der Nachrichtenagentur AP. Klagerufe von Trauernden waren während des Telefonats zu hören. Osso sagte, mehr als 50.000 Menschen seien zur Beerdigung Tammos gekommen.

Auch das Aktivisten-Netzwerk Örtliche Koordinierungskomitees meldete einen massiven Einsatz der Sicherheitskräfte in Kamischli. Die Stadt sei komplett abgeriegelt worden, nachdem zur Trauer um Tammo ein Generalstreik ausgerufen worden war. Die Zusammenstöße hätten begonnen, als Demonstranten versuchten, eine Statue von Assads Vorgänger und Vater Hafis Assad umzustürzen.

Der 53-jährige Tammo war in den vergangenen Monaten einer der führenden Organisatoren der Protestbewegung in Kamischli. Er saß früher als politischer Gefangener in Haft, war Sprecher der Kurdischen Zukunftspartei und Mitglied des Exekutivkomitees des neugegründeten Syrischen Nationalrats. Viele Oppositionsanhänger machen das Regime in Damaskus für seine Ermordung verantwortlich. Syrisch-kurdische Oppositionsparteien in der autonomen Kurdenregion im Irak forderten ein internationales Eingreifen.

Auch in Duma, einem Vorort von Damaskus, schossen Sicherheitskräfte nach Angaben von Aktivisten auf Teilnehmer eines Trauermarschs. Ein 14-jähriger Junge sei getötet worden, zehn weitere Menschen seien verletzt worden, erklärten die örtlichen Koordinationskomitees und das Syrische Observatorium für Menschenrechte mit Sitz in London.

Die Koordinierung der zersplitterten Opposition ist nach den Worten des Vorsitzenden des neu geformten Nationalrats für den Erfolg einer demokratischen Revolution in Syrien sehr dringend. Er rechne damit, dass seine Organisation in den kommenden Wochen anerkannt werde, sagte Burhan Ghaliun am Samstag in Stockholm. Im vergangenen Monat wurde die Gründung des Rats in der Türkei bekannt gegeben. Bisher wurde er jedoch international von noch niemandem anerkannt. Ghaliun war einer von fast einhundert Oppositionellen, die in der schwedischen Hauptstadt Wege zum Sturz des Regimes von Präsident Assad erörtert haben.

Außenminister Guido Westerwelle hatte mit Bestürzung auf die Ermordung von Tammo reagiert. „Er hatte den Mut, ein neues Syrien zu fordern, das auf Freiheit, Demokratie, Toleranz und Menschenwürde gründet, und war zu einem Vorbild für viele Syrer geworden. Dafür musste er nun mit seinem Leben bezahlen“, erklärte Westerwelle am Samstag in Berlin. Maschaal Tammo sei „ein weiteres Opfer eines brutalen Regimes der Recht- und Gesetzlosigkeit“.

Tammo war Mitglied des Politbüros der oppositionellen Kurdischen Volks-Union und praktisch ihr Sprecher. Die rund zwei Millionen Kurden in Syrien werden vom Assad-Regime systematisch diskriminiert.

Deutschland werde sich gemeinsam mit seinen Partnern weiterhin mit aller Kraft für die Menschen in Syrien einsetzen, betonte der FDP-Politiker. Am Montag werde sich der Rat für Außenbeziehungen der Europäischen Union mit der Lage in Syrien befassen.

Regime beschuldigt Opposition des Mordes an 1100 Menschen

Auch andernorts gingen die Sicherheitskräfte mit gewohnter Brutalität vor. In der Ortschaft Al-Kusair in der Provinz Homs wurde ein Kind erschossen, seine Mutter wurde verletzt.

Die Proteste an diesem Freitag standen erstmals unter dem Motto „Der Nationalrat vertritt mich“. Der Syrische Nationalrat hatte sich am vergangenen Wochenende in Istanbul als Dachverband der verschiedenen syrischen Oppositionsgruppen und Vereine gegründet. Erklärtes Ziel des 140-köpfigen Gremiums ist es, das Assad-Regime mit Mitteln des friedlichen Protests zu stürzen.

Das syrische Regime hat die Opposition beschuldigt, bei den Auseinandersetzungen während der vergangenen Monate 1100 Menschen getötet zu haben. Der stellvertretende Außenminister, Faisal Mekdad, kündigte am Freitag im UN-Menschenrechtsrat in Genf an, eine entsprechende Liste mit den Namen vorlegen zu wollen.

Das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte hatte zuvor bekanntgegeben, dass Sicherheitskräfte des Regimes von Baschar al-Assad mindestens 2900 Mitglieder der Opposition getötet haben .

Der russische Präsident Dmitri Medwedew hat eine gewaltsame Einmischung in den Konflikt in Syrien nach libyschem Vorbild abgelehnt. Russland habe die jüngste Syrien-Resolution im Weltsicherheitsrat gerade deshalb verhindert, weil diese ein militärisches Einschreiten wie in Libyen ermöglicht hätte, erklärte Medwedew am Freitag. Moskau wolle die Wiederholung eines solchen Szenarios verhindern.

In Syrien lagen die Schwerpunkte der Demonstrationen am Freitag in den nördlichen Provinzen Homs und Idlib sowie die südliche Provinz Daraa. Die Sicherheitskräfte gingen an vielen Orten mit brutaler Gewalt gegen die Demonstranten vor. In Al-Rastan, wo die Armee jüngst eine Menschenjagd auf Deserteure unternommen hatte, umstellten Panzer die Moscheen, um die Gläubigen nach dem Freitagsgebet an Kundgebungen zu hindern.

Die Aktivistin Suhair al-Attasi rief den neuen Nationalrat dazu auf, „sofort aktiv zu werden, um den Schutz der Zivilisten zu garantieren“. In einem von der Protestbewegung am Freitag veröffentlichten Video erklärte Al-Attasi, die Revolution werde so lange weitergehen, „bis der Mörder (Assad) und seine Familie gestürzt sind“. Syrien müsse ein demokratisches Land werden, in dem die Bürger in Würde leben könnten.

Mit Material von dpa/dapd