Vor dem Parlament verspricht der britische Premier äußerste Härte gegen die Randalierer

London. Dass Großbritanniens Parlamentarier aus dem wohlverdienten Urlaub zurückkommen, dafür muss schon einiges passieren. Das letzte Mal, als die Abgeordneten den Liegestuhl gegen die engen Bänke des House of Commons tauschen mussten, war im Sommer 2002. Damals hieß der Premierminister Tony Blair, und die Debatte drehte sich um Saddam Husseins vermeintliche Massenvernichtungswaffen. Neun Jahre später hat Premierminister David Cameron einen Negativrekord aufgestellt. Innerhalb von einem Monat musste er das Parlament gleich zweimal aus den Ferien rufen: einmal im Juli wegen des Abhörskandals beim Revolverblatt "News of the World", der auch viele peinliche Aspekte für Cameron selbst enthielt, und nun am Donnerstag schon wieder, weil das Land in den vergangenen Tagen von der schlimmsten Gewaltwelle seit 1945 überrollt wurde.

Cameron weiß, dass es für ihn nun um alles geht. Er wäre nicht der erste britische Regierungschef, der über einen solchen Aufruhr in der Gesellschaft sein Amt verliert. Margaret Thatcher stürzte über die Kopfsteuer, Tony Blair über den Irak-Krieg. Cameron will alles daransetzen, sich nicht in diese Linie einzureihen.

Um 11.30 Uhr britischer Zeit trat er vor das voll besetzte Parlament. Mehr als zwei Drittel der 650 Abgeordneten waren angereist. Die Billigfluglinie Easyjet hatte sogar eine Sonderhotline eingerichtet, um alle rechtzeitig nach London zu schaffen. Sie alle wollten hören, wie Cameron die Plünderungen, Brandstiftungen und Morde der vergangenen Tage beenden will. Der konservative Premier begann seine Rede mit einer Kampfansage an die Randalierer: "Wir werden das nicht hinnehmen, wir werden keine Kultur der Angst auf unseren Straßen zulassen." Er werde alles tun, um Gesetz und Ordnung wiederherzustellen. So lange wie nötig würden weiterhin 16 000 Polizisten auf Londons Straßen eingesetzt. Auch in anderen betroffenen Städten wie Manchester, Liverpool oder Birmingham sollen Sondereinheiten patrouillieren. Die Strategie hatte in der Nacht zum Donnerstag Wirkung gezeigt, in der es weitgehend friedlich auf Englands Straßen geblieben war.

Laute Buhrufe erntete Cameron von der Opposition, weil er auf die Etatkürzungen bei der Polizei nicht verzichten will. Wie geplant soll das Budget bis 2015 um 20 Prozent gekappt werden. Die Einsparungen würden die Sicherheit im Land nicht gefährden: "Wir werden trotzdem in der Lage sein, weiter so viele Polizisten auf die Straßen zu schicken wie in den vergangenen Tagen." Den von vielen Politikern geforderten Einsatz der Armee will Cameron vorerst nur prüfen. Er räumte aber ein, die Polizei sei in den ersten Tagen der Ausschreitungen zu defensiv vorgegangen, zudem seien die Zahl der Polizisten und deren Ausrüstung beim Ausbruch der Unruhen nicht ausreichend gewesen.

Um neue Krawalle zu verhindern, sollen die Beamten mehr Entscheidungsspielraum bekommen. Dazu gehörten der Einsatz von Gummigeschossen, Wasserwerfern und die zeitweise Kontrolle von sozialen Netzwerken im Internet. Twitter und Facebook waren zum Teil von Randalierern genutzt worden, um die Krawalle zu organisieren. Zur Identifizierung der Täter würden ohne Rücksicht auf "falsche Menschenrechtsbedenken" die Bilder von Überwachungskameras hinzugezogen. Auch soll der Polizei künftig erlaubt werden, Gewalttätern Gesichtsmasken abzunehmen. "Wir müssen ein Jahr vor den Olympischen Spielen zeigen, dass Großbritannien nicht zerstört, sondern aufbaut." Cameron rief Gemeinden dazu auf, Straftäter wenn nötig aus Sozialwohnungen hinauszuwerfen. Örtliche Behörden und Vermieter hätten bereits umfangreiche Rechte, Kriminelle aus Sozialwohnungen auszuweisen, sagte er. "Einige Gemeinden tun dies bereits. Ich möchte sehen, dass andere deren Beispiel folgen, und wir werden prüfen, ob diese Befugnisse noch weiter ausgebaut werden müssen."

Um die Spuren der Verwüstung möglichst schnell zu beseitigen, versprach Cameron schnelle und unbürokratische Hilfe für die Opfer. Auf umgerechnet etwa 228 Millionen Euro schätzte Cameron den Sachschaden, den britische Versicherungen ersetzen müssten. Doch auch wer keine Versicherung für seine zerstörten Geschäfte, Häuser oder Autos habe, werde finanziell von der Regierung entschädigt. Dazu sei bereits ein 20 Millionen Pfund schwerer Hilfsfonds gegründet worden. Sollte er nicht reichen, werde er aufgestockt. Weitere zehn Millionen Pfund will die Regierung an betroffene Stadtbezirke zahlen, damit sie ihre zerstörten Einkaufsstraßen wieder aufbauen könnten. Menschen, die ihr Zuhause verloren haben, sollten durch diesen Fonds eine neue Bleibe bekommen.

Viele Gemüter dürfte Cameron durch die großzügigen Hilfsangebote beruhigt haben. An die wirklich wichtige Frage wagte er sich nicht. Wie konnte das passieren? Was läuft schief in einem Land, in dem Tausende von Menschen nächtelang randalierend und plündernd durch die Straßen laufen? Es gebe für die Gewalt keine Entschuldigung, sagte Cameron. Die Krawallmacher seien eine "gesetzlose Minderheit, Kriminelle, die nahmen, was sie kriegen konnten". Viele von ihnen seien in Banden organisiert. Deswegen engagierte Cameron den ehemaligen New Yorker Polizeichef Bill Bratton als Berater für die Londoner Polizei. Die USA seien ein Vorbild in der Bekämpfung solcher Gangs. Mit einstweiligen Verfügungen sollten die Banden zerschlagen und verboten werden.

Auch was den Umgang mit den Randalierern angeht, strebt Cameron einen recht amerikanischen Ansatz an. Schnellgerichte tagen seit Anfang der Woche rund um die Uhr, um die Verbrecher so rasch wie möglich hinter Gitter zu bringen. Wer angeklagt ist, soll in jedem Fall in Untersuchungshaft bleiben. Sollte das nach jetzigem Recht nicht möglich sein, werde das Parlament die Gesetze ändern. Mit versteinertem Blick fixierte Cameron am Ende seiner Rede die Kamera und richtete sich an die Randalierer: "Ihr werdet zahlen für das, was ihr getan habt. Wir werden euch aufspüren, wir werden euch verfolgen, wir werden euch anklagen und wir werden euch bestrafen."