Der Streit zwischen Serben und Albanern um die Kontrolle im Norden des Kosovo eskaliert wegen Zollkontrollen. Auch Nato-Soldaten wurden beschossen

Jarinje/Kosovo. Ein stechender Geruch von geschmolzenem Kunststoff liegt über dem steinigen Tal. Wellblechreste baumeln vom zerstörten Dach der Abfertigungshalle. Verkohlte Fensterhöhlen geben den Blick in die geplünderten Büros des Grenzübergangs Jarinje im Nordkosovo frei. Im Schritttempo holpern die Pkw an ausgebrannten Autowracks vorbei. Stämmige Soldaten kontrollieren mit geschulterten Maschinengewehren die Papiere und Kofferräume der wenigen Grenzgänger. Ja, am Vorabend sei es in dem abgelegenen Tal heiß hergegangen, aber Hitze sei er aus seiner Heimat New Mexico "zum Glück gewohnt", berichtet ein US-Soldat der internationalen Schutzmacht Kfor. Doch kein Humor kann über die Tatsache hinwegtäuschen, dass der Grenzkonflikt zwischen Albanern und Serben erneut eskaliert.

50 vermummte serbische "Vaterlandsverteidiger" rollten am Mittwochabend mit einer Planierraupe vom Nordkosovo aus auf die Zollstation an der kosovarisch-serbischen Grenze zu. Bewaffnet mit Äxten, Knüppeln und Benzinkanistern legten sie den Grenzübergang in wenigen Minuten in Schutt und Asche. Schüsse peitschten aus dem flammenden Inferno in Richtung der nahen Nato-Soldaten.

Nicht zum ersten Mal wird im Pulverfass Kosovo der endlose Dauerkonflikt zwischen Serben und Albanern angeheizt. Serbien betrachtet das Kosovo als Wiege der Nation. 1389 ging hier die entscheidende Schlacht gegen die Türken verloren. Bereits unmittelbar nach der von Belgrad abgelehnten Unabhängigkeitserklärung seiner Ex-Provinz 2008 hatten nationalistische Extremisten mit stiller Billigung von Serbiens damaliger Regierung zwei Grenzübergänge im Nordkosovo abgefackelt, bevor wenig später in Belgrad selbst mehrere Botschaftsgebäude in Flammen aufgingen. In der mühseligen Nachbarschaftsbeziehung scheinen die beiden Kontrahenten trotz der intensiven und kostspieligen Vermittlungsanstrengungen der internationalen Gemeinschaft nur wenig Fortschritte erzielt zu haben. Mit gegenseitigen Schuldzuweisungen machen sich Pristina und Belgrad für ihren völlig aus dem Ruder gelaufenen Grenz- und Zollkonflikt verantwortlich.

Ein folgenschwerer Streit um einen kleinen Stempel hat den neuerlichen Tiefpunkt in den schwierigen Nachbarschaftsbeziehungen ausgelöst. Belgrad blockiert schon seit 2008 die Einfuhren aus Kosovo, weil es dessen Zollstempel genauso wenig anerkennt wie dessen Unabhängigkeit. Nur auf Druck seiner westlichen Schutzmächte hatte Pristina bislang von Gegenmaßnahmen abgesehen. Als Belgrad vor zwei Wochen jedoch die von der EU orchestrierten Verhandlungen über einen schon auf dem Tisch liegenden Kompromiss kurzfristig platzen ließ, war für Pristina der Geduldsfaden gerissen.

Erst verhängte Kosovo vergangene Woche ein Import-Embargo gegen serbische Waren. Dann ließ der junge Staat für dessen Durchsetzung zu Wochenbeginn erstmals zwei Grenzübergänge im serbisch kontrollierten Nordkosovo von Elite-Einheiten der Polizei einnehmen. Wütende Reaktionen Belgrads und der Kosovo-Serben waren die Folge, die sich nicht nur mit Straßenblockaden gegen den befürchteten Autonomieverlust wehrten: Ein Kosovo-Polizist erlag Dienstag dem Kopfschuss eines serbischen Heckenschützen.

Mit tiefen Ringen unter den Augen trat Kosovos Premier am Mittwoch vor die Kameras. Hinter den Gewalttaten der Extremisten in Jarinjje und der vereitelten stünden "offizielle Regierungsvertreter" Belgrads, die die serbischen "Parallelstrukturen" in Kosovo finanzieren würden, erregte sich Regierungschef Hashim Thaci. Doch für Pristina werde es bei der Durchsetzung des gegen Serbien verhängten Importverbots "keine Kompromisse" geben. Mit ihrem "kriminellen" Akt hätten die Hooligans den Albanern in die Hände gearbeitet, verkündete hingegen Serbiens Chefunterhändler Borislav Stefanovic: "Es gab Fortschritte bei den Verhandlungen. Und jemand versucht nun, dieses zunichte zu machen." Anders sieht das seine Amtskollegin Edita Tahiri: Belgrad habe die fast schon erzielte Einigung über die Zollstempel mit dem Fernbleiben in Brüssel platzen lassen.

Wie die Streithähne wieder an den Verhandlungstisch zurückfinden wollen, ist ungewiss. Schwarzumrandete Trauerplakate für den getöteten Polizisten sind in den Straßen von Pristina gepflastert. Eine serbische Flagge spannt sich über die Ziegel-Paletten, die bei Rudare noch immer die freie Zufahrt zur Grenze blockieren. "Belgrad steht hinter den Bränden", titelt in Pristina der "Kosovo Sot". "Dieser Krieg dauert schon zwölf Jahre", berichtet die Belgrader "Alo!" über den "Kampf der Serben auf den Barrikaden".

An dem Grenzübergang Jarinje hat zwar vorübergehend die Kfor wieder die Kontrolle übernommen. Soldaten durchsuchen passierende Autos nach versteckten Waffen oder illegalen Waren. Doch die Lage in dem geteilten Land scheint sich eher zu verhärten. Vor allem die in den Enklaven im albanischen Südkosovo lebenden Serben fürchten für die Eskalation im Norden zahlen zu müssen: Gestern wurden zwei tätliche Übergriffe albanischer Polizisten gegen Kosovo-Serben in der Nähe der Enklave Strpce vermeldet.