Die Libyen-Kontaktgruppe hat die Rebellen offiziell als legitime Regierung anerkannt. Muammar al Gaddafi wurde diese Stellung aberkannt.

Moskau. Das Regime von Libyens Machthaber Muammar al Gaddafi wird nicht länger als legitime Regierung des Landes anerkannt. Das haben die mehr als 30 Staaten der Libyen-Kontaktgruppe beschlossen. Die Gesandten der Kontaktgruppe trafen ihren Beschluss am Freitag bei einem Treffen in Istanbul. Die Rebellen in Libyen haben hingegen eine diplomatische Aufwertung erfahren.

Der italienische Außenminister Franco Frattini erklärte am Freitag am Rande des Treffens der sogenannten Libyen-Kontaktgruppe in Istanbul, dass die mehr als 30 Staaten der Kontaktgruppe beschlossen haben, den Übergangsrat der Rebellen als legitime Regierung des Landes anzuerkennen.

Es ändert aber zunächst nichts am Stillstand im Machtkampf zwischen dem libyschen Machthaber Muammar al Gaddafi und den Rebellen. Diese scheiterten wieder einmal mit einem mit der NATO koordinierten Angriff auf den strategisch wichtigen Ölhafen Brega. Die libyschen Streitkräfte schlugen die Offensive zurück.

Die Rebellen erklärten am Freitag, sie hätten sich wieder auf Positionen weiter im Osten des Landes zurückgezogen. Rebellensprecher Ahmed Bani sagte, ein Kämpfer sei getötet, acht seien verletzt worden. Die libysche Regierung kritisierte, der Angriff habe gegen das UN-Mandat für Libyen zum Schutz von Zivilpersonen verstoßen.

Der Libyen-Kontaktgruppe gehören mehr als 30 Länder an, die die NATO-Angriffe auf Libyen unterstützen. In den vergangenen Monaten änderte sich aber kaum etwas an den Machtverhältnissen in Libyen. Die Rebellen kontrollieren den Osten, die Regierung weite Teile des Westens mit der Hauptstadt Tripolis als Machtzentrum.

Die Türkei warb deshalb am Freitag für eine stärkere Unterstützung der Opposition durch die internationale Gemeinschaft. Es müssten „innovative Wege“ zur Unterstützung der Rebellen gefunden und der Druck auf Gaddafi erhöht werden, erklärte der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu zur Eröffnung des Treffens der Libyen-Kontaktgruppe. Er schlug vor allem eine stärkere finanzielle Unterstützung der Rebellen vor. Als Sicherheit für Kredite könnten eingefrorene Guthaben der libyschen Regierung dienen.

Aus US-Kreisen verlautete, auch die US-Regierung wolle ihre Beziehungen zum Übergangsrat der Opposition verstärken, sobald dieser einen Plan für eine demokratische und umfassende Regierung vorgelegt habe.

Es wurde erwartet, dass der Übergangsrat auf dem Treffen der Kontaktgruppe die Pläne für sein weiteres Vorgehen darlegt. Ob die Präsentation den Forderungen Rechnung trägt, dass eine Übergangsregierung das gesamte Spektrum der libyschen Gesellschaft umfassen müsse, war zunächst unklar.

Die Organisation Human Right Watch rief die Kontaktgruppe auf, auch Druck auf die Opposition auszuüben, damit diese den Schutz von Zivilpersonen in den von Rebellen kontrollierten Gebieten gewährleiste. Die Organisation erklärte am Freitag, sie habe Verstöße in vier Ortschaften dokumentiert, die kürzlich von den Rebellen eingenommen worden seien. Dazu zählten Plünderungen, Brandstiftung und Schläge gegen Zivilpersonen. (dapd)

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Die täglichen Meldungen aus dem Nato-Hauptquartier in Brüssel, sie ähneln sich: zwei Raketenwerfer der Regierungstruppen nahe der Hafenstadt Misrata zerstört; eine Radarstellung in der Umgebung von Tripolis erfolgreich getroffen; 14.931 Lufteinsätze seit Beginn des Krieges am 31. März dieses Jahres.

Vor mittlerweile 15 Wochen begann die Allianz den Krieg gegen Libyens Machthaber Muammar al-Gaddafi. Angeführt von Briten, Franzosen und Italienern, versucht die Nato, den Diktator mit andauernden Lufteinsätzen zu vertreiben. Jeder Tag könnte Gaddafis letzter Tag an der Macht sein. Umso drängender wird die Frage in Brüssel, am Sitz der Nato wie der Europäischen Union, wie "der Tag nach Gaddafi" aussehen wird.

"Wir steuern seit Ende März auf ein Ziel zu", sagt ein hoher Nato-Diplomat. "Aber das Problem ist: Wir wissen nicht, wie es aussieht." Nur eines scheint für den Moment klar: Keine der beteiligten Parteien, ob Nato oder EU, wollen nach "Tag X" in eine Fortführung der Schlachten gezogen werden, die möglicherweise zwischen Anhängern der in Ostlibyen beheimateten Benghasi-Opposition und noch immer Gaddafi-treuen Kräften ausbrechen könnten. "No boots on the ground", keine Soldaten am Boden.

Zwar haben EU und einzelne Nato-Staaten seit geraumer Zeit Expertenteams ins Land geschickt, die alle Szenarien ausloten. Trotzdem wagt niemand eine Voraussage beispielsweise darüber, wie sich die mächtigen, bisher neutral gebenden Stämme verhalten. Schlagen sie sich auf die Seite der Rebellen? Welche Reaktion kann man in Tripolis erwarten, werden Oppositionsanhänger Racheakte an Gaddafis Leuten verüben? Wird Libyens Arabischer Frühlings zum blutigen Bürgerkrieg?

"Die Hoffnung ist, dass durch viele Treffen, durch ständige Kontakte am Ende eine belastbare Waffenruhe steht", sagt ein hochrangiger EU-Diplomat. "Aber wir wissen auch, dass es viele, zu viele Waffen im Land gibt." Wenn der schlechteste Fall eintritt, dann soll nach Vorstellung von Nato und EU die Uno übernehmen. Aber auch die, das ist allen in Brüssel klar, wird keine Blauhelme schicken, um militärisch einen Frieden herbeizuführen. "Die Vereinten Nationen sichern nur Frieden", betont der Diplomat.

Catherine Ashton, Brüssels Hohe Außenbeauftragte, reist deshalb unermüdlich durch die Region, versucht alle Beteiligten auf einer einheitlichen Linie gegen Gaddafi zu halten, um den Druck auf Tripolis aufrechtzuerhalten. Am morgigen Freitag trifft sich die "Libyen Kontaktgruppe" in Istanbul. Ashton und US-Außenministerin Hillary Clinton sind dabei sowie alle anderen rund 40 beteiligten Länder und Organisationen. In Brüssel gilt als entscheidend, dass Arabische Liga und Afrikanische Union bei der Stange bleiben. Vor allem Letzterer gilt der Appell Washingtons, aber auch von Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen, dass "die Staaten der Region" Verantwortung nach dem Abgang Gaddafis übernehmen müssten. Doch die Afrikanische Union ist gespalten, während etwa Nachbar Algerien das Ende des Machthabers unterstützt, verteidigt Südafrikas Jacob Zuma weiter seinen libyschen Freund. Und auch die Arabische Liga zeigt keine großen Ambitionen. Wer anderes als die Europäer soll also "am Tag danach" Federführung übernehmen?

Dabei drängt die Zeit. Am 1. August beginnt der Ramadan, und für den Ruf des Westens in der arabischen Welt wäre es äußerst wichtig, dass keine Nato-Bomber mehr über Libyen fliegen. "Während des Ramadans Angriffe zu fliegen ist, als wenn bei uns Weihnachten gebombt würde", erklärt ein europäischer Diplomat. Trotzdem hält die Nato den Druck weiter aufrecht. Falls Gaddafis Truppen die Rebellen fortgesetzt angriffen, "wäre es höchst angebracht, weiter vom Uno-Mandat Gebrauch zu machen, das der Nato erlaubt, Leben zu schützen", erklärte ein Sprecher diese Woche bereits.

Sorgen bereitet in Brüssel zudem der Ende Juni vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag verhängte Haftbefehl gegen den Machthaber. Für die Stabilität nach einem Ende der Kämpfe sei es möglicherweise besser, wenn er, jeder Macht entzogen, im Land bliebe, heißt es in EU-Kreisen. Zudem kommt aus der Region massiver Protest; die Afrikanische Union verkündete bereits, man werde den Haftbefehl ignorieren, er trage nicht zu einer Lösung in Libyen bei. Die libysche Regierung erklärte ihre Bereitschaft zu Verhandlungen ohne Gaddafis Beteiligung. "Der Revolutionsführer wird nicht in die Diskussion eingreifen. (...) Gaddafi wird den Willen des Volkes respektieren", versichert Ministerpräsident al-Baghdadi al-Mahmudi.

Nato-Generalsekretär Rasmussen betonte gestern nach einem Treffen mit Rebellenführer Mahmud Dschibril, dass "es eine politische Lösung geben muss, geführt von den Libyern, unterstützt von der internationalen Gemeinschaft". Und die Opposition dringt in der Tat darauf, alle Verantwortung zu übernehmen.

Die Planungen in Brüssel, sie beruhen deshalb auf einem Prinzip: dem der Hoffnung. "Wir dümpeln vor uns hin, weil keiner der politischen Entscheider den Mut hat, für die EU eine Richtung vorzugeben. Die echte Planung beginnt erst nach Tag X", kritisiert ein EU-Vertreter das Vakuum, das vor allem den Militärs zu schaffen macht.

Deutschland bildet keine Ausnahme, obwohl es jetzt eine führende Rolle spielen könnte. "Die kleinen EU-Staaten warten auf Deutschland, weil es als verlässlich gilt", sagt ein hoher EU-Militär. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy gilt vielen als Hasardeur, der mit seinem Vorpreschen beim militärischen Engagement in Libyen allein innenpolitische Interessen verfolgt.

Aber: "Wenn wir humanitäre Hilfe leisten, brauchen wir militärischen Schutz", bestätigt ein hoher EU-Diplomat. "Diese Anfrage werden wir den EU-Mitgliedern stellen müssen." Mit bis zu 200 Militärvertretern plant man in Brüssel derzeit. Doch Berlin lehnt jede militärische Beteiligung weiter ab. "Die Bundesregierung steht jetzt im Wort, Libyen nach dem Ende der Gaddafi-Herrschaft tatkräftig zu unterstützen. Dazu gehört humanitäre Hilfe, aber auch deren militärische Absicherung. Das sind wir der Weltgemeinschaft schuldig", sagte der FDP-Europapolitiker Alexander Graf Lambsdorff der "Welt".

Erst Ende Juni hatte Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) bei einem Treffen mit Rebellenchef Dschibril betont, man stehe "an der Seite der demokratischen Kräfte in Libyen", und einige humanitäre Hilfsgüter übergeben. Dschibril bat ihn um weitere Unterstützung, etwa bei der Minenräumung. Doch solche Art humanitärer Hilfe, da sind sich alle Experten einig, geht nicht ohne Militär. (dapd)